Übersicht
Einleitung
Mit ihrem Spielfilmdebüt Systemsprenger liefert Nora Fingscheidt ein überzeugendes Figurenportrait einer Neunjährigen ab, die vom Leben gebeutelt ist und sozial fast völlig isoliert dasteht. Mit ungeheurer Präzision, aber auch Liebe und dem nötigen Abstand entsteht so ein Film, der den Zuschauer nicht kalt lässt und über die komplette Laufzeit an die Nieren geht.
Pflegefamilie, Wohngruppe, Sonderschule: Egal, wo Benni hinkommt, sie fliegt sofort wieder raus. Die wilde Neunjährige ist das, was man im Jugendamt einen „Systemsprenger“ nennt. Dabei will Benni nur eines: Liebe, Geborgenheit und wieder bei Mama wohnen! Doch Bianca hat Angst vor ihrer unberechenbaren Tochter. Als es keinen Platz mehr für Benni zu geben scheint und keine Lösung mehr in Sicht ist, versucht der Anti-Gewalttrainer Micha, sie aus der Spirale von Wut und Aggression zu befreien.

Kritik
Systemsprenger zeigt dem Zuschauer direkt von Beginn an auf, um was für ein schwieriges Kind es sich ein Benni – Kurzform für Bernadette – handelt. Sie stiehlt, sie zerstört fremdes Eigentum, sie beleidigt ältere Menschen oder solche im Rollstuhl, sie nutzt am laufenden Band Kraftausdrücke, sie haut aus ihren Wohnheimen ab und muss immer wieder bei neuen Pflegefamilien untergebracht werden, deren Auswahl immer kleiner wird, da fast niemand mehr bereit ist Benni aufzunehmen.
Dank des einnehmenden Schauspiels der Jungdarstellerin Helena Zengel gelingt die gnadenlose Darstellung der Benni wunderbar. Zengel kann den plötzlichen Umschwung in Bennis Stimmung von ruhig und gelassen zu laut und überaus aggressiv gekonnt darstellen. Jedes Mal, wenn Benni einen neuerlichen Gefühlsausbruch durchlebt und an ihrer Umwelt auslässt, kann sie damit das Herz des Zuschauers ergreifen und ihn an ihrem Leben teilhaben lassen.
Ein besonderes Augenmerk legt der Film auf die Beziehung zwischen Benni und ihrem Schulbegleiter Micha, der für sie schnell zu einem engen Vertrauten wird. Da sich die Betreuer nicht mehr zu helfen wissen und sogar Anträge für die Geschlossene Abteilung in Vorbereitung sind, entschließt sich Micha Benni zu einem dreiwöchigen, intensiven Naturausflug mitzunehmen. Und genau diese Sequenzen lassen Benni erstmals halbwegs im Lichte eines normalen Kindes erstrahlen. Die einzigartige Beziehung dieser beiden grundsätzlich verschiedenen Menschen bildet ein emotionales Herzstück des Films, welches immer wieder auf die Probe gestellt wird und jederzeit zerbrechen könnte. Gleichzeitig wächst ihre Beziehung auch in komplizierten Momenten, so dass sich schnell die enge Bindung zwischen beiden Figuren auf den Zuschauer überträgt.
Doch für Benni folgen auf jeden Schritt nach vorne mindestens zwei Rückschläge, und so wundert es nicht, dass nach einigen glücklichen Momenten ihre Welt direkt danach wieder in Flammen steht und mehrere Enttäuschungen in den Startlöchern stehen. Und auch hier kann Systemsprenger die Nähe zu Benni aufrechterhalten, ohne dabei jedoch diese Nähe zu verraten, indem der Film den potentiell einfachen Kniff umsetzt, um die ganze Misere für Benni zu beenden oder zumindest in eine viel einfachere Richtung zu lenken. Systemsprenger bleibt seiner Linie zum Glück die ganzen 118 Minuten über treu und zeigt das schwierige Leben eines Problemkindes und der Betreuer, ohne dabei in eine sentimentale, kitschige oder verklärte Richtung abzuschweifen. Der Film wirft unangenehme Fragen auf, gibt allerdings auch keine einfachen Antworten und konzentriert sich voll und ganz auf die Studie dieses problematischen Umfelds in dem sich so viele Kinder auch in der Realität befinden.

Fazit
Systemsprenger ist ein Film der zum Nachdenken anregt, den Zuschauer emotional an die junge Hauptdarstellerin bindet und gekonnt mit den Emotionen spielt, während die titelgebende Systemsprengerin mit den harten Bürden ihres Lebens zu kämpfen hat, fast völlig ohne Aussicht auf Besserung, trotz einiger fröhlicher Momente, die jedoch nie lange anhalten.
8/10










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The_Ghost -
Liest sich sehr interessant. Werde ich Gelegenheit definitiv mal anschauen.