Übersicht
Einleitung
Im Tierhorrorbereich gilt allzu häufig, je größer desto bedrohlicher. Wenn es um Spinnenhorrror geht, zeigt sich aber allzu sehr, dass hier genau das Gegenteil der Fall ist. Meist muten Filme mit Riesenspinnen eher trashig als angsteinflößend an. Lediglich der Schwarz-Weiß-Klassiker "Tarantula" konnte daraus Spannung ziehen. Ansonsten sind die Achtbeiner doch am unangenehmsten, wenn sie klein sind und somit unserem alltäglichen Dasein am nächsten sind. Besonders spiegelt sich das in dem wohl bis heute, besonders für Arachnophobiker, unbehaglichsten Titel "Arachnophobia" wider, wo es die meisten der hochgiftigen Spinnen nicht über die Größe einer Hausspinne hinausgehen. Aber auch jüngst zeigte der Film "Sting", dass er am wirksamsten ist, wenn der Arachnid noch nicht die Größe einer ausgewachsenen Ziege erreicht hat. Mit Spiders greift der französische Regisseur und Drehbuchautor Sébastien Vaniček für sein Spielfilmdebüt auch die Urängste der alltäglichen Berührungspunkte mit den Achtbeinern auf.
Kaleb hat eine Schwäche für exotische Tiere, die er in seiner Wohnung in einem Pariser Wohnblock hütet. Seine neueste Errungenschaft ist eine seltene Spinne unbekannter Herkunft: Besonders angriffslustig, extrem giftig und hochgradig invasiv. Schon bald gibt es die ersten Todesopfer und das ganze Gebäude ist in Spinnweben gehüllt. Auf der Flucht vor der um sich beißenden Armee von Achtbeinern müssen sich Kaleb und seine Freunde Stockwerk für Stockwerk ihren Weg in die Freiheit erkämpfen.
Als Darsteller griff Vaniček mit Théo Christine ("Wie ich ein Superheld wurde"), Sofia Lesaffre ("Erde und Blut"), Jérome Niel ("Es liegt an dir, Chéri") und Finnegan Oldfield ("Bang Gang") auf vornehmlich frische Gesichter zurück.
© 2024 Plaion Pictures
Kritik
Was dem Australier Kiah Roache-Turner mit seinem eingangs bereits erwähnten durchaus unterhaltsamen "Sting" leider nur spärlich gelang, meistert der Franzose Sébastien Vaniček mit Spiders auf erschreckend unangenehme Weise: Die Spannungsschraube wird bis zu einem gewissen Punkt bis ins unerträgliche angezogen. Nicht nur gelingt dies dem Filmemacher mit immer wieder kreativen Kameraeinstellungen sowie -fahrten, die häufig das Unheil auf geschickte Weise bereits ankündigen, er löst es meist, ähnlich wie bereits der Höhepunkt des Spinnenhorrors "Arachnophobia", über alltägliche Situationen oder Umfelder, in denen die hochgiftigen und angriffslustigen Achtbeiner auftreten. Ob Lüftungsschächte, Abhangdecken, Schuhe oder in diversen Ecken im Badezimmer – hier lauern die Spinnen überall, um ihre Opfer wortwörtlich zu überrennen. Dabei spielt Vaniček auch immer wieder so gekonnt mit den Erwartungen des Zuschauers, dass man doch immer wieder überrascht wird. Denn nicht jede unheilvoll aufgebaute Sequenz liefert auch den Schrecken, auf den man so angespannt in diesen Augenblicken wartet. So hofft man schon bald, dass das Unheil in Form dieser Achtbeiner mal eine Pause einlegt. Doch Vaniček denkt gar nicht erst daran, den Zuschauer in eine bequeme Stimmung zu entlassen, um mal ein wenig durchzuatmen. Nie wiegt der Regisseur sein Publikum in Sicherheit. Zu sehr genießt er es die Angriffe explosionsartig und punktgenau zu positionieren.
Und doch findet der Filmemacher dabei noch Zeit für seine Figuren, über die er auch Raum schafft, hier und da Sozialkritik zu streuen. Denn das verarmte Milieu, in dem Spiders spielt, offenbart in den Spinnen nicht die einzigen Ängste. Vor allem Existenz- und Verlustängste in all ihren Facetten bilden ein allumfassendes Gerüst. Seine Charaktere sind dabei greifbar, sodass man nur allzu gerne mit ihnen mitfiebert und es sogar wehtut, wenn dann doch einer den Spinnen zum Opfer fällt. Besonders unter die Haut geht es, wenn man eine der Figuren sterben hört, während man die ganze Zeit nur die Reaktion der Freunde sieht. Ja, auch psychologisch fährt hier Vaniček einige Augenblicke auf, die einen emotional nicht kalt lassen. Bei all dem inszenatorischen Fingerspitzengefühl ist das aber auch seinem fantastischen Schauspielensemble zu verdanken, das hier durch die Bank eine starke Leistung abliefert.
Dennoch bleiben die Highlights die titelgebenden Spinnentiere und wie sie Vaniček in Szene setzt. Schon lange hat man nicht mehr, besonders im Subgenre des Tierhorrors, einen Filmemacher erlebt, der so viel Freude an seinen Ungetümen hat und versucht ihren Schrecken auf all erdenkliche Weise spürbar zu machen. So ist das Werk auf ungemein erfreuliche Art unangenehm. Nach dem Film fühlt man sich, wie nach einem Workout im Fitnessstudio, da man über weite Teile des Films dermaßen angespannt in seinem Kinosessel sitzt. Vaniček steigt gleich hoch ein, wenn er sein Werk mit einer Spinnenjagd in der Wüste beginnt und man sehr eindringlich erfährt, dass man diese Tiere besser nicht einfangen sollte. Und so lauert man bereits nach Beendigung der Eingangssequenz auf den Ausbruch des Terrors, den der Franzose außerordentlich genussvoll zelebriert, ohne dabei auf große Splattereffekte setzen zu müssen. Doch wenn er dann mal auf die Arbeit Maske der Maske zurückgreift, leistet die eine ebenso fantastische Arbeit wie der Regisseur. Ähnliches gilt für den Einsatz von Animatronics wie Computereffekte, die den Einsatz von echten Spinnen hervorragend ergänzen, denn auch hier weiß Vaniček geschickt damit zu hantieren, damit gerade die digitalen Effekte nicht zu sehr ins Gesicht springen. Hier wird gekonnt mit Licht und Unschärfen gespielt, die aus einer Not eine Tugend machen. Apropos Licht: dieses spielt in dem Werk ebenfalls eine spannende Rolle, welches in einem von Spinnen übersiedelten Gang in Verbindung mit einem Lichtschalter, der alle paar Minuten das Licht wieder ausschaltet, einen nervenaufreibenden Höchstpunkt erreicht.
© 2024 Plaion Pictures
Im Grunde kann man hier etliche Highlights nennen, sodass es nur allzu nachvollziehbar ist, dass Kultregisseur Sam Raimi sich Vaniček für seinen nächsten "Evil Dead"-Film sicherte und man mit viel Vorfreude darauf blicken kann, was der Franzose mit dieser Vorlage anstellt.
Doch bei all dem Lob, muss man leider auch ein wenig Kritik walten lassen. Obwohl die Figuren durchaus greifbar werden, sind die Konflikte zwischen ihnen teilweise zu breitgetreten, sodass sie irgendwann anfangen zu nerven und sich im Kopf immer wieder der Satz „Himmel, werdet erwachsen.“ abzeichnet. Besonders zwischen dem Protagonisten Kaleb und seiner Schwester Lila sind die Streitereien häufig sehr anstrengend. Das ist besonders schade, da der eigentliche Konflikt zwischen ihnen ungemein spannend ist. Doch den bekommt Vaniček mit seinem Co-Autor Florent Bernard ("Es liegt an dir, Chéri") ausnahmsweise nicht wirklich gelungen ausgearbeitet. Dazu treffen die Figuren im Showdown dann einige fragwürdig rücksichtslose Entscheidungen, die ihnen am Ende einen faden Nachgeschmack verleihen.
Ansonsten ist Spiders aber fraglos der beste und intensivste Spinnenhorror seit dem mittlerweile bereits über dreißig Jahre alten "Arachnophobia".
© 2024 Plaion Pictures
Fazit
Regisseur Sébastien Vaniček beweist nicht nur bei den Kulissen, alleine das Haus, in dem Spiders spielt, ist in seinem äußeren Erscheinungsbild bereits ein Highlight, ein ungemein gutes inszenatorisches Auge, er weiß seine titelgebenden Achtbeiner auch unfassbar gut in Szene zu setzen, sodass man nahezu durchweg vor Anspannung in seinem Sessel versinken möchte. Kreative Kamerafahrten und -einstellungen verleihen dem Ganzen eine spielerische Qualität, dass man mit Spiders ein erfreulich unangenehmes Sehvergnügen beschert bekommt. Und bei all dem Schrecken, den Vaniček verbreitet, vergisst er dabei seine Figuren zu keinem Zeitpunkt, auch wenn ihr Verhalten dann doch hin und wieder den Film unnötig degradiert.
7/10
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