The Ugly Stepsister (Special)

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  • SYNOPSIS


    Elvira (Lea Myren) hat genug vom Dasein im Schatten ihrer bildhübschen Stiefschwester Agnes (Thea Sofie Loch Næss). Um die Blicke von Prinz Julian (Isac Calmroth), dem begehrtesten Junggesellen des gesamten Königreichs, auf sich zu ziehen, ist ihr jedes Mittel recht. Unter Einsatz von Blut, Schweiß und Tränen schreckt Elvira vor nichts zurück, um den Prinzen für sich zu gewinnen.

    Mit ihrem Spielfilmdebüt präsentiert die norwegische Regisseurin und Drehbuchautorin Emilie Blichfeldt eine furiose Variante der klassischen Aschenputtel-Geschichte, die unter dem Deckmantel augenzwinkernden Body-Horrors zeitlos relevante Fragen nach dem eigenen Körperbild und der Wahrnehmung von Schönheit verhandelt. Newcomerin Lea Myren brilliert als Elvira in ihrer ersten Filmrolle an der Seite von Thea Sofie Loch Næss („The Last Kingdom“), die ihre hübsche Stiefschwester Agnes spielt. Die Rolle der Mutter übernahm Ane Dahl Torp („The Wave“).



    ÜBER DIE REGISSEURIN EMILIE BLICHFELDT


    Die norwegische Regisseurin und Autorin Emilie Blichfeldt widmete sich bereits in HOW DO YOU LIKE MY HAIR? (2013), einem ihrer ersten Kurzfilme, der Frage nach dem Wesen von Schönheit. Ihr Abschlussfilm an der Norwegian Film School, SARA’S INTIMATE CONFESSIONS (Saras intime betroelser, 2018), lief unter anderem auf dem Locarno International Film Festival und dem Clermont-Ferrand International Short Film Festival.

    THE UGLY STEPSISTER (Den Stygge Stesøsteren) ist Emilie Blichfeldts erster abendfüllender Spielfilm.



    KOMMENTAR DER REGISSEURIN


    Schönheit als Horror und die Neuinterpretation der Gebrüder Grimm

    In THE UGLY STEPSISTER erforsche ich die Tyrannei der Schönheit und deren Auswirkungen auf junge Frauen. Das übergeordnete Konzept, das ich als „Beauty Horror“ bezeichne, wurde vom Body-Horror-Genre und der misogynen Doktrin „Wer schön sein will, muss leiden“ inspiriert. Es ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt, nachdem ich selbst jahrelang mit meinem Körperbild zu kämpfen hatte und meinen Platz in der Frauenwelt erst finden musste. Mit dieser Geschichte möchte ich das Publikum in Elviras Erfahrungen eintauchen lassen und Mitgefühl, Unbehagen und Reflexion auslösen. Indem ich ihre schmerzhaften Empfindungen in den Körpern der Zuschauer spiegele, hoffe ich, eine instinktive Verbindung herzustellen, die zum Nachdenken anregt.

    Elviras Reise verdeutlicht die Qualen, die das Festhalten an unerreichbaren körperlichen Normen verursacht. Ich habe mich von David Cronenbergs Ansatz für das Genre inspirieren lassen: Körperliche Verwandlungen dienen bei ihm als Metaphern für die Schwächen, Dilemmata und inneren Ängste seiner Figuren, oder als politischer Kommentar über den Einfluss der Gesellschaft auf das Individuum.

    Außerdem greift die Erzählung auf die reichhaltige Welt von „Aschenputtel“ zurück, insbesondere auf die ursprüngliche Version der Gebrüder Grimm, in der die Stiefschwestern ihre Füße verstümmeln, um in den Schuh zu passen. Dieses zeitlose Märchen existiert in unzähligen Variationen – von biblischen Bezügen über chinesischer Folklore, die bekannten französischen und deutschen Nacherzählungen bis hin zu der obskuren tschechischen Adaption DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL (1973) aus den 1970ern, die in Norwegen und Deutschland sehr populär ist. Anstatt mich an eine einzige Vorlage zu halten, habe ich mich dazu entschlossen, die Elemente, die mir gefallen, miteinander zu verweben und meine eigene Interpretation hinzuzufügen. Letztendlich sind das alles ausgedachte Geschichten, Volksmärchen, die von Generation zu Generation mündlich weitergegeben wurden, um zu unterhalten, aber auch Werte zu vermitteln.

    Obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, eine moderne Aschenputtel-Geschichte zu schreiben, habe ich mich von Anfang an dafür entschieden, diese Geschichte in der unbestimmten „Einst-Zeit“ anzusiedeln. Diese Entscheidung unterstreicht auch die Zeitlosigkeit der Motive im Film, die zwar unsere heutigen Problemen ansprechen, aber letztlich nur eine Weiterführung kultureller Traditionen sind, die schon seit jeher die Wahrnehmung von Schönheit und Identität formen.



    Visueller Stil und Drehorte


    Die Ästhetik des Films ist stark an die osteuropäischen Märchenfilme der 1960er- und 1970er-Jahre angelehnt, die für ihren düsteren Realismus, ihre gotischen Kulissen, ihre praktischen Effekte und ihre natürliche Beleuchtung bekannt sind. Diese Filme schaffen ein einzigartiges Gleichgewicht zwischen dem Realen und dem Irrealen und erzeugen einen unheimlichen, verzauberten Realismus, der wegweisend für THE UGLY STEPSISTER wurde.

    Noch bevor ich mit Manon Rasmussen an den Kostümen gearbeitet habe, war ich maßgeblich an der Gestaltung der Garderobe beteiligt. Mode ist eine Leidenschaft von mir und ich habe frühzeitig umfangreiche Recherchen angestellt, um Silhouetten, Epochen und Details zu definieren, die zu meiner Vision des Films passten. Ich habe mich sogar mit der Mode-Ikone Lady Amanda Harlech ausgetauscht. Während manche Designer meinen Beitrag als unkonventionell empfanden, war Manon von Anfang an begeistert. Ihr legendäres Fachwissen, das durch ihre Arbeit an allen Filmen von Lars von Trier und den Gewinn von 17 dänischen Oscars geprägt ist, verlieh jedem Stück eine
    bodenständige Authentizität. Sie hat ein unübertroffenes Talent für Kostüme, die sich wie eine Erweiterung des Charakters anfühlen, indem sie abgenutzte, zusammengeflickte Materialien einbezieht, damit sich die Schauspieler in ihren Rollen wohlfühlen. Gemeinsam spielten wir mit den ikonischen Disney-Silhouetten für Aschenputtel und ihre Stiefschwestern und knüpften diese Entwürfe an die Zeit Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts an, als die Schönheitschirurgie in der medizinischen Praxis aufkam.

    Obwohl es ein Traum gewesen wäre, auf Film zu drehen, war es aufgrund der logistischen und finanziellen Anforderungen dieses Debütfilms – mit einer großen Besetzung, Schlössern, Tieren, praktischen Effekten und einem großen Ball – nicht umsetzbar. Glücklicherweise hat mein Kameramann Marcel Zyskind sein Faible für Zelluloid auf das digitale Format übertragen und mit Hilfe von speziellen Kameratechniken, der Arbeit mit starken Filtern und Experimenten mit Vaseline und Zooms eine taktile, filmähnliche Qualität erreicht.

    Die Suche nach den richtigen Drehorten war ein kleines Abenteuer. Am letzten Tag der Recherche entdeckten wir das bezaubernde Schloss Gołuchow in Polen, das im Mittelpunkt des Films steht. Die Suche nach dem Schloss des Prinzen war noch schwieriger, aber wir haben schlussendlich den atemberaubend schönen Ballsaal einer Zisterzienser-Klosterruine in der Nähe des polnischen Dorfs Lubiaz gefunden. Wir hatten Glück, dass Polen großen Aufwand bei der Restauration seiner architektonischen Schätze betreibt. Die Wandmalereien von Schloss Gołuchow beispielsweise wurden von den Nazis geraubt und dann von Künstlern aus der Gegend in den 1950er- und 1960er 4Jahren in mühsamer Handarbeit wiederhergestellt. Ich war über die große Bedeutung der Instandsetzung alter Gebäude für meinen Film überrascht. Der Film hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns um unser kulturelles Erbe kümmern und dass wir dabei fehlerfrei arbeiten müssen, um diese Meisterwerke nicht zu schädigen.



    Die Musik von THE UGLY STEPSISTER


    Bei der Musik zum Film orientierte ich mich an ikonischen 70er-Jahre-Soundtracks wie „Bilitis“ von Francis Lai aus dem Film LOVE STORY (1970), der Band Goblin aus SUSPIRIA: IN DEN KRALLEN DES BÖSEN (Suspiria, 1977) oder auch Harold Budd aus JERRY MAGUIRE: SPIEL DES LEBENS (Jerry Maguire, 1996). Den Mix aus Harfe, Synthesizer und Pauke hatte ich mir von Anfang an so vorgestellt und unser Komponist Kaada erweckte sie meisterhaft zum Leben. Kurz vor der Vollendung der letzten Schnittfassung stellten meine Cutterin Olivea Neergaard-Holm und ich fest, dass dem Film etwas Zeitgenössisches fehlte – ein Element, das ihn im Hier und Jetzt verortet. Wir haben eigentlich versucht, jegliche Anachronismen zu vermeiden (auch wenn kieferorthopädische Zahnspangen kaum in die Epoche gehören, die im Film dargestellt wird). Aber dem Film hat eine
    gewisse ironische Ebene gefehlt, die es dem Publikum ermöglicht, nicht nur die Charaktere, sondern auch die erzählerische Präsenz zu verstehen. Ich mag es, mich beim Filmschauen in den Charakteren zu verlieren und gleichzeitig eine Verbindung mit der Person zu spüren, die die Geschichte erzählt. Wir haben die norwegische Künstlerin Vilde Tuv und ihr Album „Melting Songs“ entdeckt und waren sofort hin und weg. Es verkörperte die Essenz einer hoffnungslos romantischen jungen Frau perfekt – hart und doch verletzlich, ironisch und zugleich von einer tiefen Ernsthaftigkeit. Vilde komponierte zwei Stücke für den Film, die nahtlos an Kaadas Arbeiten anschließen. Zusammen haben sie dem Film etwas Überraschendes und Zeitloses geschenkt, wodurch er aus der Masse heraussticht.

    Die Entdeckung von Lea Myren

    Da wir es mit einem Märchen zu tun haben, suchte ich nach Schauspielerinnen und Schauspielern mit großer emotionaler Bandbreite, die in der Lage sind, ihre Rollen mit einer Portion Absurdität und überzogenem Gefühlsausdruck zu spielen, ohne dass die Figuren dabei ihre Bodenhaftung oder Menschlichkeit verlieren. Ich gehe immer völlig unvoreingenommen an ein Casting heran. Ich habe keinerlei Vorstellungen, wie die Charaktere aussehen sollen. Für mich entsteht dieses Bild erst während des Vorsprechens durch die Interpretationen der Darstellerinnen und Darsteller. Der Casting-Prozess für die Hauptrollen war eine Herausforderung – bis plötzlich die richtigen Leute auftauchten.

    Die herausragende Entdeckung war, wenig überraschend, Lea Myren als Elvira, die Stiefschwester. Schon bei ihrem ersten Vorsprechen war ich gefesselt; zum ersten Mal konnte ich Elvira wirklich sehen. Leas unprätentiöse Körperlichkeit, ihr präzises komödiantisches Timing und ihre unerschütterliche Hingabe ließen sie sofort als die perfekte Besetzung erscheinen. Aber was für ein Geschenk sie ist, wurde mir erst später klar. Ihre furchtlose und aufrichtige Darstellung von Elvira – die sich zwischen Unschuld und Träumen bewegt und in Wahnsinn, Schmerz und sogar viszeralen Momenten wie Erbrechen abtaucht – ist unvergesslich und bahnbrechend. Lea verkörpert all das, was ich mich als junge Frau gern getraut hätte zu sein, frei von den Zwängen des Kampfes um das Körperbild. Sie ist nicht nur ein unglaubliches Talent, sondern auch ein Hoffnungsschimmer für zukünftige Generationen von Frauen und Mädchen.




    Wie es ist, eine „Stiefschwester“ zu sein


    Märchen leben von klarer Charakterzeichnung. Es gibt die Reinen und Guten und die unverbesserlich Bösen. Wir fühlen natürlich mit Aschenputtel mit und verteufeln die Stiefmutter und -schwestern sehr schnell. In der Version der Gebrüder Grimm werden die Stiefschwestern zwar als böse, aber gutaussehend beschrieben. Walt Disney, der sich an Charles Perraults französischer Version orientierte, verbreitete die Vorstellung, dass innere und äußere Schönheit intrinsisch miteinander zusammenhängen – Freundlichkeit gehört zu den Schönen, während Hässlichkeit von Grausamkeit zeugt. Die Stiefschwestern werden für ihre großen Nasen, Füße und den Irrglauben, den Prinzen für sich gewinnen zu können, verspottet.

    Als Kind teilte ich diese Ansicht. Ich wollte Aschenputtel sein und über die Tollpatschigkeit der Stiefschwestern lachen. Aber nachdem ich die Grimm‘sche Version als Erwachsene noch einmalgelesen hatte, insbesondere die Stelle, als sich eine Stiefschwester die Zehen abschneidet, um in den Schuh zu passen, änderte ich meine Meinung. Zum ersten Mal empfand ich Mitleid für sie und ihre Verzweiflung. Der Spott und das kalte Lachen auf ihre Kosten fühlten sich ungerecht an. Auch ich selbst habe mich danach gesehnt, von jemandem begehrt zu werden – ob nun von einem Prinzen oder einem festen Freund – und habe schmerzhaft gespürt, wie es ist, den unmöglichen Schönheitsstandards nicht zu entsprechen. Egal, wie sehr ich versuchte, mich einzugliedern, ich konnte niemals in Aschenputtels Schuh passen, weil ich ebenfalls eine Stiefschwester bin.

    Diese Erkenntnis führte zum Bedürfnis, die Geschichte aus einer neuen Perspektive zu erzählen. Ich wollte allen Charakteren Leben einhauchen und sie von ihren starren Archetypen befreien. Aschenputtel verkörpert nicht nur ein Ideal; sie ist ein Mädchen mit Geheimnissen, die weder die Gebrüder Grimm, noch Perrault, noch Disney bisher erzählt haben. Gleichzeitig wollte ich nicht einfach nur die Geschichte in ihr Gegenteil verkehren, die Stiefschwester zur Heldin und Aschenputtel zur Übeltäterin werden lassen. Stattdessen habe ich mich um Fairness bemüht.

    Durch die soziale und wirtschaftliche Brille der Vergangenheit betrachtet, werden die unvernünftigen Handlungen der Märchenfiguren verständlich. Für Frauen war es oft
    überlebenswichtig, einen Ehemann zu finden, um sozial aufsteigen zu können. Das Aussehen war ihr wichtigstes Gut, und eine gescheiterte Ehe war eine Katastrophe. Trotz dieser Umstände träumten viele von Romantik und zufälligen Begegnungen, in denen die Sehnsucht nach sozialem Aufstieg und wahrer Liebe zu einer höheren Einheit verschmolzen. Ich wollte diese Komplexität bei der Neuinterpretation des Märchens berücksichtigen.

    Die Geschichte der Stiefschwester wurde zu lange missachtet und verdient es, als aussagekräftiger Kommentar zu den belastenden Normen, die uns noch immer prägen, anerkannt zu werden. Ich habe diesen Film für die kleine Emilie gemacht, die große Füße und wenig Selbstvertrauen im Umgang mit Jungen hatte. Ich habe diesen Film für all die jungen Mädchen gemacht, die mit der Last kämpfen, sich hässlich zu fühlen, aber ich hoffe, dass dieser Film weit darüber hinausgeht, denn die Fragen, die er aufwirft – danach, was schön ist und wer darüber entscheidet – gehen uns alle an. Indem wir mit Aschenputtel mitfühlen, uns aber über die Stiefschwester lustig machen, werden wir getäuscht und verraten uns selbst. Es gibt nur ein Aschenputtel. Der Rest von uns, die darum kämpfen, in den Schuh zu passen, sind Stiefschwestern.

    Emilie Blichfeldt, 2025




    ASCHENPUTTEL: DAS ORIGINAL DER BRÜDER GRIMM


    In: Grimm, Jacob & Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. 136-145.

    Einem reichen Manne dem wurde seine Frau krank, und als sie fühlte, daß ihr Ende herankam, rief sie ihr einziges Töchterlein zu sich ans Bett und sprach: „Liebes Kind, bleibe fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer beistehen, und ich will vom Himmel auf dich herabblicken, und will um dich sein.“ Darauf tat sie die Augen zu und verschied. Das Mädchen ging jeden Tag hinaus zu dem Grabe der Mutter und weinte, und blieb fromm und gut. Als der Winter kam, deckte der Schnee ein
    weißes Tüchlein auf das Grab, und als die Sonne im Frühjahr es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau.

    Die Frau hatte zwei Töchter mit ins Haus gebracht, die garstig und schwarz von Herzen waren. Da ging eine schlimme Zeit für das arme Stiefkind an. „Soll die dumme Gans bei uns in der Stube sitzen!“ sprachen sie, „wer Brot essen will, muß verdienen: hinaus mit der Küchenmagd!“ Sie nahmen ihm seine schönen Kleider weg, zogen ihm einen grauen, alten Kittel an und gaben ihm hölzerne Schuhe. „Seht einmal die stolze Prinzessin, wie sie geputzt ist!“ riefen sie, lachten und führten es in die Küche. Da mußte es von Morgen bis Abend schwere Arbeit tun, früh vor Tag aufstehen, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen. Obendrein taten ihm die Schwestern alles ersinnliche Herzeleid an, verspotteten es und schütteten ihm die Erbsen und Linsen in die Asche, so daß es sitzen und sie wieder auslesen mußte. Abends, wenn es sich müde gearbeitet hatte, kam es in kein Bett, sondern mußte sich neben den Herd in die Asche legen. Und weil es darum immer staubig und schmutzig aussah, nannten sie es Aschenputtel.

    Es trug sich zu, daß der Vater einmal in die Messe ziehen wollte, da fragte er die beiden Stieftöchter, was er ihnen mitbringen sollte. „Schöne Kleider,“ sagte die eine, „Perlen und Edelsteine,“ die zweite. „Aber du, Aschenputtel“ sprach er, „was willst du haben?“ – „Vater, das erste Reis, das Euch auf Eurem Heimweg an den Hut stößt, das brecht für mich ab!“ Er kaufte nun für die beiden Stiefschwestern schöne Kleider, Perlen und Edelsteine, und auf dem Rückweg, als er durch einen grünen Busch ritt, streifte ihn ein Haselreis und stieß ihm den Hut ab. Da brach er das Reis ab und nahm es mit. Als er nach Haus kam, gab er den Stieftöchtern, was sie sich gewünscht hatten, und
    dem Aschenputtel gab er das Reis von dem Haselbusch. Aschenputtel dankte ihm, ging zu seiner Mutter Grab und pflanzte das Reis darauf, und weinte so sehr, daß die Tränen darauf niederfielen und es begossen. Es wuchs aber und ward ein schöner Baum. Aschenputtel ging alle Tage dreimal darunter, weinte und betete, und allemal kam ein weißes Vöglein auf den Baum, und wenn es einen Wunsch aussprach, so warf ihm das Vöglein herab, was es sich gewünscht hatte.

    Es begab sich aber, daß der König ein Fest anstellte, das drei Tage dauern sollte, und wozu alle schönen Jungfrauen im Lande eingeladen wurden, damit sich sein Sohn eine Braut aussuchen möchte. Die zwei Stiefschwestern, als sie hörten, daß sie auch dabei erscheinen sollten, waren guter Dinge, riefen Aschenputtel und sprachen: „Kämm uns die Haare, bürste uns die Schuhe und mache uns die Schnallen fest, wir gehen zur Hochzeit auf des Königs Schloss.“ Aschenputtel gehorchte, weinte aber, weil es auch gern zum Tanz mitgegangen wäre, und bat die Stiefmutter, sie möchte es ihm erlauben. „Aschenputtel,“ sprach sie, „bist voll Staub und Schmutz, und willst zur Hochzeit? Du hast keine Kleider und Schuhe, und willst tanzen!“ Als es aber mit Bitten anhielt, sprach sie endlich: „Da habe ich dir eine Schüssel Linsen in die Asche geschüttet, wenn du die
    Linsen in zwei Stunden wieder ausgelesen hast, so sollst du mitgehen.“ Das Mädchen ging durch die Hintertür nach dem Garten und rief:

    „Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen, die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.“

    Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein, und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um dieAsche nieder. Und die Täubchen nickten mit den Köpfchen und fingen an pick, pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an pick, pick, pick, pick, und lasen alle guten Körnlein in die Schüssel. Kaum war eine Stunde herum, so waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da brachte das Mädchen die Schüssel der Stiefmutter, freute sich und glaubte, es dürfte nun mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: „Nein, Aschenputtel, du hast keine Kleider, und kannst nicht tanzen: du wirst nur ausgelacht.“ Als es nun weinte, sprach sie: „Wenn du mir zwei Schüsseln voll Linsen in einer Stunde aus der Asche rein lesen kannst, so sollst du mitgehen“ und dachte: „Das
    kann es ja nimmermehr.“ Als sie die zwei Schüsseln Linsen in die Asche geschüttet hatte, ging das Mädchen durch die Hintertür nach dem Garten und rief: „Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen, Die guten ins Töpfchen, Die schlechten ins Kröpfchen.“

    Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit ihren Köpfchen und fingen an pick, pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an pick, pick, pick, pick, und lasen alle guten Körner in die Schüsseln. Und ehe eine halbe Stunde herum war, waren sie schon fertig, und flogen alle wieder hinaus. Da trug das Mädchen die Schüsseln zu der Stiefmutter, freute sich und glaubte, nun dürfte es mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: „Es hilft dir alles nichts: du kommst nicht mit, denn du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen; wir müssten uns deiner schämen.“ Darauf kehrte sie ihm den Rücken zu und eilte mit ihren zwei stolzen Töchtern fort. Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel zu seiner Mutter Grab unter den Haselbaum und rief:

    „Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, Wirf Gold und Silber über mich.“

    Da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid herunter und mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln. In aller Eile zog es das Kleid an und ging zur Hochzeit. Seine Schwestern aber und die Stiefmutter kannten es nicht und meinten, es müsse eine fremde Königstochter sein, so schön sah es in dem goldenen Kleide aus. An Aschenputtel dachten sie gar nicht und dachten, es säße daheim im Schmutz und suchte die Linsen aus der Asche. Der Königssohn kam ihm entgegen, nahm es bei der Hand und tanzte mit ihm. Er wollte auch sonst mit niemand tanzen, also daß er ihm die Hand nicht losließ, und wenn ein anderer kam, es aufzufordern, sprach er: „Das ist meine Tänzerin.“

    Es tanzte bis es Abend war, da wollte es nach Hause gehen. Der Königssohn aber sprach: „Ich gehe mit und begleite dich,“ denn er wollte sehen, wem das schöne Mädchen angehörte. Sie entwischte ihm aber und sprang in das Taubenhaus. Nun wartete der Königssohn, bis der Vater kam, und sagte ihm, das fremde Mädchen wär in das Taubenhaus gesprungen. Der Alte dachte: „Sollte es Aschenputtel sein?“ und sie mussten ihm Axt und Hacken bringen, damit er das Taubenhaus entzweischlagen konnte; aber es war niemand darin. Und als sie ins Haus kamen, lag Aschenputtel in seinen schmutzigen Kleidern in der Asche, und ein trübes Öllämpchen brannte im Schornstein; denn Aschenputtel war geschwind aus dem Taubenhaus hinten herabgesprungen, und war zu dem Haselbäumchen gelaufen: da hatte es die schönen Kleider abgezogen und aufs Grab gelegt, und der Vogel hatte sie wieder weggenommen, und dann hatte es sich in seinem grauen Kittelchen in die Küche zur Asche gesetzt.

    Am andern Tag, als das Fest von neuem an hub, und die Eltern und Stiefschwestern wieder fort waren, ging Aschenputtel zu dem Haselbaum und sprach: „Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, Wirf Gold und Silber über mich!“

    Da warf der Vogel ein noch viel stolzeres Kleid herab als am vorigen Tag. Und als es mit diesem Kleide auf der Hochzeit erschien, erstaunte jedermann über seine Schönheit. Der Königssohn aber hatte gewartet, bis es kam, nahm es gleich bei der Hand und tanzte nur allein mit ihm. Wenn die andern kamen und es aufforderten, sprach er: „Das ist meine Tänzerin.“ Als es nun Abend war, wollte es fort, und der Königssohn ging ihm nach und wollte sehen, in welches Haus es ging: aber es sprang ihm fort und in den Garten hinter dem Haus. Darin stand ein schöner großer Baum, an dem die herrlichsten Birnen hingen, es kletterte so behend wie ein Eichhörnchen zwischen die Äste, und der Königssohn wusste nicht, wo es hingekommen war. Er wartete aber, bis der Vater kam, und sprach zu ihm: „Das fremde Mädchen ist mir entwischt, und ich glaube, es ist auf den Birnbaum gesprungen.“ Der Vater dachte: „Sollte es Aschenputtel sein?“ ließ sich die Axt holen und hieb den Baum um, aber es war niemand darauf. Und als sie in die Küche kamen, lag Aschenputtel da in der Asche, wie sonst auch, denn es war auf der andern Seite vom Baum herabgesprungen, hatte dem Vogel auf dem Haselbäumchen die schönen Kleider wiedergebracht und sein graues Kittelchen angezogen.

    Am dritten Tag, als die Eltern und Schwestern fort waren, ging Aschenputtel wieder zu seiner Mutter Grab und sprach zu dem Bäumchen: „Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, Wirf Gold und Silber über mich!“

    Nun warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war so prächtig und glänzend, wie es noch keins gehabt hatte, und die Pantoffeln waren ganz golden. Als es in dem Kleid zu der Hochzeit kam, wussten sie alle nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Der Königssohn tanzte ganz allein mit ihm, und wenn es einer aufforderte, sprach er: „Das ist meine Tänzerin.“

    Als es nun Abend war, wollte Aschenputtel fort, und der Königssohn wollte es begleiten, aber es entsprang ihm so geschwind, daß er nicht folgen konnte. Der Königssohn hatte aber eine List gebraucht, und hatte die ganze Treppe mit Pech bestreichen lassen: da war, als es hinabsprang, der linke Pantoffel des Mädchens hängen geblieben. Der Königssohn hob ihn auf, und er war klein und zierlich und ganz golden. Am nächsten Morgen ging er damit zu dem Mann und sagte zu ihm: „Keine andere soll meine Gemahlin werden als die, an deren Fuß dieser goldene Schuh passt.“ Da freuten sich die beiden Schwestern, denn sie hatten schöne Füße. Die älteste ging mit dem Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobieren, und die Mutter stand dabei. Aber sie konnte mit der großen Zehe nicht hineinkommen, und der Schuh war ihr zu klein, da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: „Hau die Zehe ab: wenn du Königin bist, so brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.“ Das Mädchen hieb die Zehe ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiss den Schmerz und ging hinaus zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Sie mussten aber an dem Grabe vorbei, da saßen die zwei Täubchen auf dem Haselbäumchen und riefen:

    „Rucke di guck, rucke di guck, Blut ist im Schuck. Der Schuck ist zu klein, Die rechte Braut sitzt noch daheim.“

    Da blickte er auf ihren Fuß und sah, wie das Blut herausquoll. Er wendete sein Pferd um, brachte die falsche Braut wieder nach Hause und sagte, das wäre nicht die rechte, die andere Schwester solle den Schuh anziehen. Da ging diese in die Kammer und kam mit den Zehen glücklich in den Schuh, aber die Ferse war zu groß. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: „Hau ein Stück von der Ferse ab: wann du Königin bist, brauchst du nicht mehr zu Fuß gehen.“ Das Mädchen hieb ein Stück von der Ferse ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiss den Schmerz und ging heraus zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, saßen die zwei Täubchen darauf und riefen:

    „Rucke di guck, rucke di guck, Blut ist im Schuck. Der Schuck ist zu klein, Die rechte Braut sitzt noch daheim.“

    Er blickte nieder auf ihren Fuß und sah, wie das Blut aus dem Schuh quoll und an den weißen Strümpfen ganz rot heraufgestiegen war. Da wendete er sein Pferd und brachte die falsche Braut wieder nach Hause. „Das ist auch nicht die rechte,“ sprach er, „habt ihr keine andere Tochter?“ – „Nein,“ sagte der Mann, „nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines verbuttetes Aschenputtel da: das kann unmöglich die Braut sein.“ Der Königssohn sprach, er sollte es heraufschicken, die Mutter aber antwortete: „Ach nein, das ist viel zu schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen.“ Er wollte es aber durchaus haben, und Aschenputtel musste gerufen werden. Da wusch es sich erst Hände und Angesicht rein, ging dann hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm den goldenen Schuh reichte. Dann setzte es sich auf einen Schemel, zog den Fuß aus dem schweren Holzschuh und steckte ihn in den Pantoffel, der war wie angegossen. Und als es sich in die Höhe richtete und der König ihm ins Gesicht sah, so erkannte er das schöne Mädchen, das mit ihm getanzt hatte, und rief: „Das ist die rechte Braut.“ Die Stiefmutter und die beiden Schwestern erschraken und wurden bleich vor Ärger: er aber nahm Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, riefen die zwei weißen Täubchen:

    „Rucke di guck, rucke di guck, Kein Blut im Schuck. Der Schuck ist nicht zu klein, Die rechte Braut, die führt er heim.“

    Und als sie das gerufen hatten, kamen sie beide herabgeflogen und setzten sich dem Aschenputtel auf die Schultern, eine rechts, die andere links, und blieben da sitzen. Als die Hochzeit mit dem Königssohn sollte gehalten werden, kamen die falschen Schwestern, wollten sich einschmeicheln und teil an seinem Glück nehmen. Als die Brautleute nun zur Kirche gingen, war die älteste zur rechten, die jüngste zur linken Seite: da pickten die Tauben einer jeden das eine Auge aus. Hernach, als sie herausgingen, war die älteste zur linken und die jüngste zur rechten: da pickten die Tauben einer jeden das andere Auge aus. Und waren sie also für ihre Bosheit und Falschheit mit Blindheit auf ihr Lebtag bestraft.

    Infos
    Originaltitel:
    Den stygge stesøsteren
    Land:
    Norwegen, Dänemark, Rumänien, Polen
    Jahr:
    2025
    Studio/Verleih:
    Capelight Pictures
    Regie:
    Emilie Blichfeldt
    Produzent(en):
    Maria Ekerhovd
    Drehbuch:
    Emilie Blichfeldt
    Kamera:
    Marcel Zyskind
    Musik:
    John Erik Kaada, Vilde Tuv
    Genre:
    Drama, Komödie, Horror, Märchen
    Darsteller:
    Lea Myren, Thea Sofie Loch Næss, Ane Dahl Torp, Isac Calmroth, Flo Fagerli u.a.
    Inhalt:
    Elvira (Lea Myren) hat genug vom Dasein im Schatten ihrer bildhübschen Stiefschwester Agnes (Thea Sofie Loch Næss). Um die Blicke von Prinz Julian (Isac Calmroth), dem begehrtesten Junggesellen des gesamten Königreichs, auf sich zu ziehen, ist ihr jedes Mittel recht. Unter Einsatz von Blut, Schweiß und Tränen schreckt Elvira vor nichts zurück, um den Prinzen für sich zu gewinnen.
    Start (DE):
    05.06.2025
    Start (USA):
    18.4.2025
    Laufzeit:
    110
    FSK:
    ab 12 Jahren

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