Übersicht
Einleitung
Mit Ausnahme von "Deadpool & Wolverine" gelang es Marvel in letzter Zeit nicht so richtig große Erfolge an den Kinokassen zu verzeichnen. Durchwachsene Kritiken und überhöhte Budgets erschwerten die Erfolgschancen zunehmend. Und so scheint das Marvel Cinematic Universe auch inhaltlich weiter ein wenig seinen neuen Ton zu suchen. Bevor dieses Jahr dahingehend mit "The Fantastic Four" die wahrscheinlich größte Hoffnung vieler Fans zur Besserung erscheint, verirrt sich vorher noch ein anderer MCU-Film in die Kinos, der zumindest qualitativ für eine Überraschung sorgt, die wahrscheinlich so kaum jemand auf dem Schirm hatte: Thunderbolts*.
Im Mittelpunkt des Films stehen Black Widows Schwester Yelena, der in "The Falcon and the Winter Soldier" denunzierte kurzzeitige Captain America John Walker, der Red Guardian aka Alexei Shostakov, Ava Starr/Ghost aus "Ant-Man and the Wasp", Antonia Dreykov/Taskmaster, die in "Black Widow" bereits auftrat sowie Fanliebling Bucky Barnes alias der Winter Soldier. All diese etwas eigenwilligen Charaktere sollen nun ein Team bilden, das eine ganz besondere Aufgabe bekommt, um eine geheimnisvolle Gefahr abzuwenden.
Die benannten Figuren werden natürlich wieder von den uns bekannten Gesichtern belebt. So ist Florence Pugh wieder als Yelena dabei, David Harbour als Red Guardian, Wyatt Russell als John Walker, Olga Kurylenko als Taskmaster, Sebastian Stan als Bucky und Hannah John-Kamen feiert ihre längst überfällige Rückkehr als Ghost.
Darüber hinaus sind unter anderem noch Julia Louis-Dreyfus als Valentina Allegra de Fontaine und Lewis Pullmann als Sentry dabei. Harrison Ford wird erneut als Thaddeus "Thunderbolt" Ross zu sehen sein, nachdem er in "Captain America: Brave New World" sein Debüt feierte.
Die Inszenierung übernahm "Beef"-Regisseur Jake Schreier.

© 2025 Marvel Studios
Kritik
Nachdem das Kinoevent "Avengers: Infinity War" und "Avengers: Endgame" zum erwarteten finanziellen Megaerfolg wurde (die Filme spielten zusammen weltweit mehr als 4,8 Milliarden US-Dollar ein) und sogar qualitativ von vielen Seiten gefeiert wurden, fand sich das MCU plötzlich in einem Tief wieder, in dem man fast schon verzweifelt versucht, wieder in die Spur zu kommen. Eine Überfrachtung von qualitativ enttäuschenden Serien sowie Filmbeiträgen, die den einstigen Qualitätsstandards des MCUs oftmals nicht standhalten konnten, folgten. Herbe (auch finanzielle) Enttäuschungen wie "The Marvels", "Ant-Man and the Wasp: Quantumania", "Black Panther: Wakanda Forever" sowie "Captain America: Brave New World" sorgten für viel Unmut und scheiterten kläglich daran, neue Figuren als emotionale Anker zu etablieren. Umso überraschender ist es nun, dass einem Film über Randfiguren, die bisher kaum eine große Rolle im Gesamtkontext des Marvel Cinematic Universes gespielt haben, genau das gelingt. Denn ja, Thunderbolts* ist neben "Guardians oft he Galaxy Vol. 3" der wahrscheinlich gelungenste und in sich kohärenteste MCU-Beitrag seit "Endgame", denn das Werk versucht weder krampfhaft Bezüge zu anderen Filmen aufzubauen, noch versucht man hier alles größer und bedrohlicher zu machen und vor allem setzt er nicht vornehmlich auf Fanservice und schnelle Gags, wie es zuletzt "Deadpool & Wolverine" tat, sondern versucht lieber eine schlüssige Geschichte mit echten Figuren zu erzählen. Und nein auch Thunderbolts* macht dahingehend nicht alles richtig, aber greift schon einmal nach den richtigen Dingen, die man im Kino erleben möchte: Emotionen, Figuren, mit denen man gerne mitfiebert, natürlich auch etwas visuelles Spektakel und eine Geschichte, an die man sich nach Ende des Abspanns auch gerne noch ein wenig erinnert beziehungsweise auch erinnern kann.
Der größte Pluspunkt in Thunderbolts* ist glücklicherweise auch das titelgebende Team aus ungleichen Außenseitern. Mit Yelena Belova hat man einen guten emotionalen Dreh- und Angelpunkt ausgewählt, was nicht nur der Figur an sich geschuldet ist, die nach dem Tod ihrer Schwester Natasha Romanov alias Black Widow merklich an ihrem Dasein zweifelt, sondern auch Florence Pugh, die hier spürbar mit ihrer schauspielerischen Klasse die Figur und den ganzen Film bereichert. Selbiges kann man aber auch über die längst überfällige Rückkehr von Hannah John-Kamen (erster und einziger Auftritt bisher als Antagonist in "Ant-Man and the Wasp") sagen, die als Ghost aka Ava Starr zwar deutlich weniger dramaturgischen Raum bekommt, aber auch mit wenig Material weiß etwas anzufangen. Manchmal reichen eben auch kleine Blicke, um als Zuschauer ein Gefühl für das Seelenleben einer Figur zu bekommen. Doch auch der Rest des Teams macht seine Arbeit wirklich gut. Wyatt Russell als gefallener Captain America bekommt eine angenehme Balance zwischen dem arroganten Typen, den niemand mag und einer emotionalen Verlorenheit hin, Sebastian Stan bleibt noch am unauffälligsten und spielt seine Darbietung als Bucky Barnes routiniert runter und David Harbour fungiert als Comic Relief erstklassig, wobei ein paar der emotionalsten Szenen sogar zwischen ihm und Pugh passieren. Lewis Pullmann als Robert „Bob“ ("Top Gun: Maverick" lässt auf charmante Art grüßen) Reynolds ist wahrscheinlich noch die größte Überraschung. Ihm gelingt es tatsächlich den Loser ebenso glaubhaft zu verkörpern wie die emotional geschundenen und die gefühlstoten Facetten.
Doch wären gute Schauspieler und greifbare Figuren nur die halbe Miete, wenn die Chemie zwischen dem Team nicht funktionieren würde. Und das bekommen die Drehbuchautoren Eric Pearson und Joanna Calo sowie Regisseur Jake Schreier makellos hin. Wie die Individuen, die sich zu Beginn sogar noch gegenseitig umbringen sollen, nach und nach zu einem Team heranwachsen, ist nachvollziehbar aber vor allem greifbar erzählt.

© 2025 Marvel Studios
Was zu einem fast schon nervtötendem Aspekt der MCU-Filme verkommen ist, ist der teils flache, häufig überfrachtende Humor. Schreier und seine beiden Autoren schrauben diesen glücklicherweise merklich zurück und reduzieren diesen vornehmlich auf ein wenig Situationskomik sowie die Figur Red Guardian. Die Entscheidung, dass nicht jede Figur hier permanent einen dummen Spruch auf Lager haben muss, sondern man einen eigentlich ziemlichen düsteren Film lediglich mit einem klassischen Comic Relief in Form von Harbours eben erwähnten Red Guardian hin und wieder auflockert, erweist sich als große positive Auswirkung. Denn so wird die Tragweite des Werks niemals untergraben und doch hat man durchgehend das Gefühl erstklassig unterhalten zu werden. Dass der Humor in diesem Setting so gut funktioniert, darf auch dem hervorragend aufspielenden Harbour zu Gute gehalten werden, der sich mit merklich Spielfreude in seine Figur hineinschmeißt, sodass seine oftmals überhöhte Darbietung nie wie ein Fremdkörper wirkt. Doch degradiert man ihn auch nicht gänzlich zu einer Witzfigur, sondern schenkt ihm sogar, wie weiter oben bereits aufgeführt, zwei der dramatischsten Szenen, in denen er seine schauspielerische Klasse einmal mehr unter Beweis stellen darf. Darüber hinaus beweist Schreier auch stets das Fingerspitzengefühl, den Red Guardian in den richtigen Momenten auch mal den Mund halten zu lassen.Übrigens haben sich die Verantwortlichen tatsächlich eine amüsante Idee einfallen lassen, wie der Name Thunderbolts zustande kommt, was dann auch zu einem charmanten Running Gag avanciert.
Was sich bereits rauslesen ließ, Thunderbolts* ist grundsätzlich ein eher düsterer MCU-Beitrag. Nicht nur visuell verzichtet Regisseur Jake Schreier auf farbgesättigte Bilder und einer künstlichen Comic-Optik, auch inhaltlich dominieren Themen wie Depression, emotionale Leere und Verlorenheit das Wesen der Figuren. Gekrönt wird diese bedrückende Stimmung dann am Ende noch mit dem Auftritt des großen Antagonisten The Void, der in seiner Erscheinung eine der wahrscheinlich angsteinflößendsten Figuren des bisherigen Marvel Cinematic Universes ist. Vor allem wenn er die Menschen verschwinden lässt und lediglich ihre Schatten von ihrem einstigen Dasein zeugen, sorgt das für eine ungemein bedrückende Stimmung. So bietet Thunderbolts* visuell wie tonal tatsächlich eine angenehme Abwechslung zum sonstigen Marvel-Stoff.
Bleibt am Ende noch die Action. Und auch diese Herausforderung meistert Schreier ohne groß ist Wanken zu kommen. Etliche Szenen setzen auf praktische Effekte, was den Film und seine für das Genre relativ bodenständige Tonalität zusätzlich erdet. Und wenn mal der Computer zum Einsatz kommt, dann sind auch diese Effekte in den meisten Fällen überaus gelungen geraten. Hier und da schleicht sich zwar der ein oder andere Augenblick ein, in dem der Einsatz des Computers nicht zu verleugnen ist, was aber im Ganzen kaum ins Gewicht fällt. Was dem Regisseur dahingehend sehr in die Karten spielt, ist die Tatsache, dass die Helden in Thunderbolts* keine gottähnlichen Kräfte besitzen. Denn so braucht Schreier das Ganze nicht künstlich aufzuplustern, was er dankenderweise auch nicht macht, sodass die Action angenehm gefestigt ausfällt. Dadurch kreieren einige Szenen dann sogar einen größeren Impact (beispielhaft eine Verfolgungsjagd auf dem Highway). Die Actionszenen werden dabei stets übersichtlich eingefangen, sind zudem makellos arrangiert und man verzichtet auf verwackelte Bilder oder eine überhastete Schnittfolge, was den Sequenzen eine zusätzliche Qualität zuspricht. Ganz stark funktioniert dahingehend, das erste Aufeinandertreffen der Thunderbolts. Und auch beim Showdown setzt man am Ende nicht auf ein generisches Effektgewitter, sondern hält es nach einer kurzen großen Zerstörungssequenz auf überraschend mutige Weise intim und gleichzeitig visuell kreativ.

© 2025 Marvel Studios
Trotz des vielen Lobes muss man allerdings auch festhalten, dass man gerade dramaturgisch bei den Figuren noch zusätzlich in die Tiefe hätte gehen können, was den Charakteren definitiv gut getan hätte. Auch wenn die Schauspieler viel aus ihrem Stoff herausholen, kratzt man am Ende doch häufig eher an der Oberfläche. Denn jedes der Teammitglieder bringt eine ungemeine Tragik mit, die es wert ist, zu erkunden. Diese Tatsache beraubt Thunderbolts* tatsächlich die Möglichkeit ganz oben bei den MCU-Titeln mitzuspielen und sich sogar gänzlich herauszustellen. Aber mit etwas Glück könnte das dann mit einem zweiten Teil gelingen. Denn der darf nach diesem überaus gelungenen Auftritt gerne kommen.
Fazit
Mit wahrscheinlich dem MCU-Beitrag, in denen die Wenigsten große Hoffnungen gesetzt haben, hat es Marvel tatsächlich geschafft, endlich mal wieder einen starken Film abzuliefern, der auch ohne großen Fanservice funktioniert. Auf so vielen Ebenen weiß Thunderbolts* bestens zu unterhalten, scheut sich aber gleichzeitig auch nicht vor bedrückenden Themen. Technisch kann man Regisseur Jake Schreier nichts vorwerfen, aber besonders überzeugt er mit seinem zwischenmenschlichen Fingerspitzengefühl, das uns endlich wieder Figuren bietet, mit denen wir nur all zu gerne mitfühlen. Ein wenig mehr dramaturgischen Tiefgang bei den Teammitgliedern hätte das Werk sogar noch auf eine ganz neue Ebene hieven können.
7/10










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