Der Meister und Margarita (Special)

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  • SYNOPSIS


    Moskau in den 1930er-Jahren: Das Werk eines bekannten Schriftstellers (Jewgeni Zyganow) wird vom sowjetischen Staat zensiert und die Premiere seines Theaterstücks abgesagt. Inspiriert von seiner Geliebten Margarita (Julia Snigir), beginnt er mit der Arbeit an einem neuen Roman, in dem er sämtliche Menschen aus seinem realen Leben in satirisch überspitzter Gestalt auftreten lässt. Im Mittelpunkt steht Woland (August Diehl) als mystisch-dunkle Macht, die Moskau besucht, um sich an all jenen zu rächen, die für den Ruin des Autors verantwortlich sind. Während der Meister, wie dieser sich fortan nennt, immer tiefer in seine Geschichte eintaucht, vermag er allmählich nicht mehr zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden …

    DER MEISTER UND MARGARITA von Michael Lockshin (SILVER SKATES) mit August Diehl als mysteriöse Teufelsfigur Woland basiert auf dem gleichnamigen Romanklassiker des Schriftstellers Michail Bulgakow, der darin Kritik am sowjetischen Überwachungsapparat übt. Wegen seines unverkennbaren Gegenwartsbezugs ist DER MEISTER UND MARGARITA vielleicht einer der mutigsten Filme überhaupt.



    BULGAKOWS KULTROMAN UND SEINE VERFILMUNG


    „Jede Form der Macht ist Gewalt an anderen“ – Mit diesen Worten beschrieb der russische Autor und Satiriker Michail Bulgakow (1891-1940) die Essenz seines bekanntesten Romans DER MEISTER UND MARGARITA. Geschrieben über den Verlauf von zwölf Jahren, diktierte er seiner Frau die letzte Fassung noch auf dem Sterbebett, im sicheren Wissen, dass es das Werk niemals an den strengen Zensurbehörden der UdSSR vorbei schaffen würde. Zu direkt und pointiert war die Kritik am sowjetischen Staatsapparat, an Zensur, Unterdrückung und Propaganda. Geschrieben hat er es dennoch, denn „veröffentlichen muss ein Schriftsteller nicht, aber schreiben … schreiben muss er!“

    Mehr als 25 Jahre vergingen nach Bulgakows Tod, bis DER MEISTER UND MARGARITA 1966/67 als Fortsetzungsroman in der Literaturzeitschrift Moskwa abgedruckt wurde, stark gekürzt und von der Zensur auf Linie getrimmt. Binnen weniger Stunden war die erste Auflage von 150 000 Stück ausverkauft, die fehlenden Stellen wurden von findigen Oppositionellen kurzerhand per Schreibmaschine oder handschriftlich nachgefertigt. DER MEISTER UND MARGARITA avancierte zum meistdiskutierten russischen Werk seiner Zeit, das sich über die Landesgrenzen hinaus verbreitete und seinen Urheber posthum zu einem der meistgelesenen und bedeutendsten Autoren seines Landes machte.

    Es wirkt wie eine bittere Ironie des Schicksals, dass die monumentale Verfilmung von DER MEISTER UND MARGARITA mehr als 30 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion ähnliche
    Kontroversen auslöste wie seinerzeit die Romanvorlage. Geplant als aufwendig produzierte Hommage an das Werk von Michail Bulgakow, inszeniert vom russisch-amerikanischen Regisseur Michael Lockshin, wurde der Kinostart in Russland zum Politikum. Im Jahr 2020 hatten sowohl die Kritiker als auch das Publikum Lockshins Erstlingswerk, die Fantasy-Romanze SILVER SKATES, in den höchsten Tönen gelobt. Der Film wurde bei mehreren renommierten Preisverleihungen ausgezeichnet, unter anderem erhielt er den Preis der russischen Film- und Fernsehproduzenten für den besten Spielfilm des Jahres 2020. Lockshin, der familiäre Bindungen nach Russland hat, in den USA geboren, aber größtenteils in Moskau aufgewachsen ist und fließend russisch spricht, genoss dadurch in der Filmindustrie offenbar so viel Vertrauen, dass der staatliche Kinofonds 40 Prozent der Produktionskosten für DER MEISTER UND MARGARITA übernahm.

    Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Frühjahr 2021 änderte sich jedoch alles. Der für 2022 geplante Kinostart wurde zunächst mehrfach verschoben, dann gerieten Michael Lockshin und seine Produzenten ins Visier ultranationalistischer Propagandisten und einiger prominenter Unterstützer des Putin-Regimes, die in der anti-autoritären und pazifistischen Satire eine Gefährdung der russischen Einheit sahen und mit aller Kraft verhindern wollten, dass ein Regisseur, der in den sozialen Medien von Beginn an den russischen Angriffskrieg auf das Schärfste verurteilte, einen vom Kulturministerium finanzierten Film drehte. Die Angriffe führten zu einer breiten öffentlichen Debatte, die bis in die russische Staatsduma reichte. Mehrfach rief man zum Boykott der Romanadaption auf und versuchte, den Kinostart mittels offiziellem Parlamentsbeschluss verbieten zu lassen. In einem Interview mit der BBC berichtet Michael Lockshin von gezielter öffentlicher Diffamierung: Man habe ihn im staatlichen Fernsehen als „Verbrecher“ und „Terroristen“ diskreditiert. Sollte der Filmemacher nach Russland zurückkehren, droht ihm wegen neuer Gesetze, die Kritik am Einmarsch in der Ukraine unter Strafe stellen, sogar die Verhaftung.

    Als DER MEISTER UND MARGARITA nach zweijährigem Kampf um Fertigstellung und Veröffentlichung im Januar 2024 endlich in Russland anlief, war der Name des Regisseurs von sämtlichem Werbematerial entfernt worden. Allen Widerständen zum Trotz lockte die Verfilmung von Bulgakows Literaturklassiker sechs Millionen Menschen in die Lichtspielhäuser und spielte über zwei Milliarden Rubel an den Kinokassen ein, was ihn zum finanziell erfolgreichsten R-Rated- Film der russischen Kinogeschichte und zu einem der zehn erfolgreichsten Kinofilme Russlands überhaupt macht. Bei der Verleihung des staatlichen Filmpreises Goldener Adler ging er wenig überraschend leer aus; von der Russian Guild of Film Critics, dem größten unabhängigen Kritikerverband Russlands, wurde er hingegen sechsfach ausgezeichnet.

    Auch außerhalb Russlands feierte die Kritik den Film für seine pointierte und gegenwartsbezogene Kritik an staatlicher Unterdrückung: So bezeichnete ihn die britische Zeitung The Guardian als den vielleicht „letzten offen regierungskritischen Film Russlands“, die New York Times sah in Lockshins Werk einen Beweis, dass es „in Russland etwas gibt, das Putin noch nicht kontrolliert“.

    Die Kontroverse um DER MEISTER UND MARGARITA steht exemplarisch für die Spannungen zwischen künstlerischer Freiheit und staatlicher Kontrolle in Russland, insbesondere im derzeitigen politischen Klima. Lockshin ist es dennoch gelungen, seine Vision umzusetzen und eine Adaption von Bulgakows Werk zu erschaffen, die sowohl künstlerisch anerkannt als auch kommerziell erfolgreich war. Die Entstehungsgeschichte, die Widerstände und schlussendlich die überwältigende Rezeption von DER MEISTER UND MARGARITA zeigen vor allem eines: Michail Bulgakows Roman und sein satirisches Aufbegehren gegen Bürokratie, Zensur und staatliche Willkür sind erschreckend aktuell geblieben – in Russland und auf der ganzen Welt.




    STATEMENT DES REGISSEURS MICHAEL LOCKSHIN


    DER MEISTER UND MARGARITA basiert auf einem Roman, um den sich viele Mythen und Aberglauben ranken. Lange galt er als „verflucht“, weil jede filmische Adaption ein absolutes Chaos war. Zunächst war ich skeptisch, was diesen Fluch betrifft. Nach den bizarren Umständen der Produktion und Veröffentlichung des Films in Folge der russischen Invasion der Ukraine hat sich meine Meinung dazu geändert. Die Themen des Romans – Zensur, Machtmissbrauch und der Kampf zwischen Angst und Freiheit – fühlten sich plötzlich seltsam prophetisch an. Manche Szenen aus dem Film, der in den 1930er-Jahren spielt, wurden zu gelebter Wirklichkeit und anders herum.

    Die Realität hatte die Fiktion eingeholt und das Ganze im Jahr 2024 zu erleben, war ein surreales Gefühl.

    Ursprünglich sollte ich bei DER MEISTER UND MARGARITA gar nicht die Regie führen. Die Produzenten kamen auf mich zu, nachdem mein Regiedebüt SILVER SKATES großen Erfolg hatte. Sie versuchten bereits seit Jahren, den Film zu realisieren. Geplant hatten sie eine 1:1-Adaption des Romans, die aber nie zustande kam. Ich wusste also, wenn ich das Projekt übernehme, musste es ein eigenständiger Film sein. Ein Film, der auch die Zuschauerinnen und Zuschauer von heute anspricht, die das Buch nicht kennen – ohne den Geist von Bulgakows Werk zu verlieren.

    Wir entschieden uns für den Ansatz, einen Film innerhalb des Romans zu entwerfen, anstatt den Roman zum Film zu machen. Die modernistische Struktur des Romans – die unterschiedlichen Zeitebenen und Allegorien – zwangen uns dazu, die Struktur neu zu erfinden und auch einige Elemente hinzuzufügen, insbesondere zum Hintergrund des Meisters. Das war nötig, um dem Film eine Dreiaktstruktur und einen klaren Protagonisten zu geben. Mein Co-Autor Roman Kantor und ich verbrachten Monate damit, den Roman in ein Drehbuch zu überführen, und trafen uns dafür mit mehreren Bulgakow-Experten, um ein Konzept zu entwerfen, das funktioniert und Bulgakows Vision treu bleibt.

    Meine persönliche Herangehensweise ist natürlich stark von meinem familiären Hintergrund geprägt. Ich bin in Russland und den USA aufgewachsen und habe die politischen und kulturellen Unterschiede stets wahrgenommen. In meiner Kindheit schaute ich sowohl Hollywood-Filme als auch sowjetisches Kino. Ich konsumierte Literatur und Kunst aus beiden Welten. Ich bin zweisprachig aufgewachsen und verstehe die russische Psyche wie ein Einheimischer, stehe ihr aber gleichzeitig als Außenstehender gegenüber. DER MEISTER UND MARGARITA begegnete mir erstmals als Schullektüre in Moskau, als ich 15 Jahre alt war. Bulgakow wurde schnell zu einem meiner Lieblingsautoren. Ich habe den Roman in all diesen Jahren mehrfach gelesen und dabei jedes Mal etwas Neues entdeckt. In dieser Hinsicht ist das Werk schlicht magisch – es wandelt sich und enthüllt stets neue Facetten, abhängig davon, wie und wann man es liest.

    Bulgakows Roman ist eine vielschichtige Erzählung. Es ist gleichermaßen eine Liebesgeschichte, eine Satire, eine politische Kritik und eine spirituelle Fabel. Das macht eine Adaption natürlich umso schwerer. Man muss die Idee des Buches bewahren und gleichzeitig einen filmischen Ausdruck finden, der diese Genre-Widersprüche verbindet. Ich entschied mich dazu, die Genres mit dem gleichen Mut zu mischen wie es Bulgakow mit seinem Schreibstil tat, und dennoch alles in ein- und derselben cineastischen Welt stattfinden zu lassen.

    Dass der Kinostart in Russland tatsächlich erfolgte, war nach mehreren Verschiebungen ein echtes Wunder. Es gab extremen Druck, den Film zu zensieren und ganze Abschnitte herauszuschneiden. Am Ende ist er aber genauso im Kino gelaufen, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, und wurde zu einem der erfolgreichsten russischen Filme aller Zeiten, obwohl es keinerlei Marketing in den Medien gab. Im Gegenteil: Die harschen Attacken russischer Propagandisten gegen den Film und auch gegen mich persönlich waren beinahe wie der Streit zwischen den Zensoren und dem Meister im Film.

    Seit der Veröffentlichung des Films haben sich die Verkaufszahlen des Romans verzwölffacht. Die Vorstellung, dass Menschen das Kino inspiriert verlassen, um das Buch erstmals zu lesen oder es für sich wieder neu zu entdecken, erfüllt mich als Regisseur mit großer Dankbarkeit. Nachdem ich nun über ein Jahr dafür gekämpft habe, die Rechte auch außerhalb Russlands zu sichern, bin ich überglücklich, dass er endlich auch für das internationale Publikum zu sehen ist. Ich werde oft gefragt, ob ich Angst davor hatte, DER MEISTER UND MARGARITA zu verfilmen. Ich antworte darauf immer mit einem Zitat aus dem Roman: „Feigheit ist die schrecklichste aller Sünden“.

    – Michael Lockshin, März 2025




    KURZBIOGRAFIE DES REGISSEURS MICHAEL LOCKSHIN


    Michael Lockshin wurde 1981 in den USA geboren. Als er fünf Jahre alt war, wanderten seine Eltern mit ihm in die Sowjetunion aus, wo er in Moskau aufwuchs und später Psychologie studierte. Nach Abschluss seines Studiums zog er nach London und drehte zunächst Werbefilme, die vielfach mit Preisen ausgezeichnet wurden, unter anderem mit dem Cannes Lions Young Director's Award.

    2020 feierte er sein Spielfilmdebüt mit dem romantischen Epos SILVER SKATES auf dem Moscow International Film Festival. Der Film wurde in Russland zum Kassenschlager und erzielte trotz der Corona-Pandemie am Startwochenende ein Rekordeinspielergebnis. Netflix brachte ihn ein Jahr später als erste russische Produktion in der Kategorie Netflix Originals ins Streaming. Michael Lockshins zweite Regiearbeit DER MEISTER UND MARGARITA gilt als eine der bis dato teuersten und aufwendigsten russischen Filmproduktionen aller Zeiten.





    KURZBIOGRAFIEN DER DARSTELLER


    Hauptdarsteller August Diehl (Woland)

    August Diehl wurde 1976 in West-Berlin geboren. Nach seinem Abitur studierte er an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Gleich seine erste Rolle als Hacker Karl Koch in Hans-Christian Schmids 23 – NICHTS IST SO WIE ES SCHEINT (1998) machte ihn deutschlandweit bekannt und brachte ihm den Deutschen Filmpreis in der Kategorie Bester Darsteller ein. Es folgten zahlreiche Auftritte in verschiedenen deutschen und europäischen Film- und Fernsehproduktionen; unter anderem an der Seite von Daniel Brühl in WAS NÜTZT DIE LIEBE IN GEDANKEN (2004), neben Charlotte Gainsbourg und Pete Doherty in der französischdeutsch- britischen Koproduktion CONFESSION (Confession of a Child of the Century, 2012) und in der Bestsellerverfilmung NACHTZUG NACH LISSABON (Night Train to Lisbon, 2013). Für die Darstellung des Protagonisten in Andres Veiels WER WENN NICHT WIR (2011) gewann Diehl den Preis als bester Darsteller auf dem Europäischen Filmfestival von Sevilla.

    Mit seiner Rolle als SS-Sturmbannführer Dieter Hellstrom in Quentin Tarantinos INGLOURIOUS BASTERDS (2009) schaffte August Diehl den Sprung nach Hollywood und war in den Folgejahren beispielsweise an der Seite von Angelina Jolie in SALT (2010) zu sehen. 2017 übernahm Diehl dieviel beachtete Hauptrolle in DER JUNGE KARL MARX von Raoul Peck. 2019 arbeitete er mit Terrence Malick für EIN VERBORGENES LEBEN zusammen, der im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes uraufgeführt und von der Kritik äußerst positiv rezipiert wurde.

    Nach zahlreichen Engagements an den großen deutschen Bühnen ist August Diehl seit der Spielzeit 2013/2014 Ensemblemitglied am Burgtheater Wien. Darüber hinaus ist er Gitarrist der Band „Hands up – Excitement“.


    Darsteller Claes Bang (Pontius Pilatus)

    Claes Bang, geboren 1967 in Odense, Dänemark, ist Schauspieler und Musiker. Durch zahlreiche Auftritte in europäischen Film- und Fernsehproduktionen, darunter auch mehrere deutschsprachige Rollen in TV-Serien wie NOTRUF HAFENKANTE (2007–) oder SOKO WISMAR (2004–) und Filmen wie DSCHUNGELKIND (2011) oder RETTET RAFFI! (2015), erlangte er vor allem auch in Deutschland große Bekanntheit.

    Seinen internationalen Durchbruch erzielte Bang 2017 mit der Rolle des Kunstkurators Christian in THE SQUARE unter der Regie von Ruben Östlund, der bei den Filmfestspielen von Cannes die Goldene Palme gewann. Claes Bang erhielt für seine herausragende Leistung unter anderem als erster Däne den Europäischen Filmpreis als bester Darsteller. In den folgenden Jahren übernahm er bedeutende Rollen in internationalen Produktionen wie VERSCHWÖRUNG (The Girl in the Spider‘s Web, 2018) unter der Regie von Fede Alvarez, Robert Eggers‘ THE NORTHMAN (2022) und DIORAMA (2022) von Tuva Novotny.




    INTERVIEW MIT HAUPTDARSTELLER AUGUST DIEHL


    DER MEISTER UND MARGARITA ist eines der wichtigsten und bekanntesten Werke der russischen Literatur. Wann hast Du es zum ersten Mal gelesen und wie fandest Du es?

    Das erste Mal habe ich es vor langer Zeit gelesen und ich muss gestehen, es hat mir nicht wirklich gut gefallen. Das Buch hatte diese Aura eines der ganz großen Werke russischer Literatur und es wurde schon fast kultisch verehrt. Ich ging also mit extrem hohen Erwartungen an die Lektüre und fand es schlicht zu konfus, was wahrscheinlich auch an der etwas ungelenken Übersetzung lag. Es spielte im antiken Jerusalem, aber auch im Moskau der 1930er, und es gab einen Jesus, Pontius Pilatus, den Teufel und den Meister und seine Margarita. Das wirkte einfach zu fragmentarisch. Ich habe mich dann also nicht allzu lange damit beschäftigt.

    2021 habe ich ein Buch bekommen, ein Drehbuch aus Russland, und das hieß einfach nur „Woland“. Ich wusste überhaupt nicht, worum es geht, und fing an zu lesen. Und irgendwann dachte ich so, das kenne ich, irgendwoher kenne ich das. Jemand, der sich selbst Meister nennt, und da gibt es eine Margarita … Da wurde mir klar: Ach, das ist „Meister und Margarita“! Dann habe ich mir den Roman noch mal geholt und diesmal war er neu übersetzt von einem Herrn Nitzberg, da fand ich den Roman großartig. Auf einmal kam das raus, was, glaube ich, die Kraft des Romans ist, nämlich diese Unterschiedlichkeit der Sprache. Auf der Zeitebene von Jerusalem, Pontius Pilatus und all das, da ist es eine ganz starke, fast biblische Sprache, und auf der Ebene in Moskau mit dem Woland und seinen Gehilfen, und dem Meister und Margarita ist es eine fast comichafte – Bum, Zack, Peng – satirische Sprache. Das steht unglaublich im Kontrast und ist wahnsinnig unterhaltsam. Ich habe damals den Roman so ein bisschen gelesen wie große russische Literatur, mit zu großer Schwere. Man muss den Roman aber ganz leicht lesen. Eigentlich wie einen Marvel-Comic. Und dann wird er riesig, dann wird er ganz groß.



    Wie kam es, dass Du die Rolle des Woland erhalten hast? Gab es ein Casting?

    Nein, das war einfach ein Drehbuch, das mir zugeschickt wurde, mit der Anfrage, ob ich Lust darauf hätte. Ich wusste auch, dass noch andere Leute im Gespräch sind. Dann habe ich Michael Lockshin getroffen und es ging eigentlich relativ schnell mit der Zusage, Ich musste aber sagen: Ich kann kein Wort russisch. Und Woland wird ja beschrieben als polyglott, komplett vielsprachig, einer, der alle Sprachen der Welt kann, letztendlich aber aus Deutschland kommt. Und dann meinte Michael:

    Gut, dann spielst Du auf Deutsch und synchronisierst Dich später selbst auf Russisch, und das war dann fast die meiste Arbeit. Nach dem Dreh gab es wirklich über ein Jahr lang in verschiedensten Sessions und mit einem Coach eine riesige Nachsynchronisation, das war noch mal so viel Arbeit wie der Dreh selbst. Es war sehr aufwendig, aber ich hatte mir selbst ein Ei gelegt, weil ich gedacht habe: Der Woland, das ist jemand, der wahnsinnig schnell spricht, wahnsinnig schnell denkt. Das war dann umso komplizierter für die Nachsynchronisation.



    Einige wenige Szenen hast Du auch direkt auf russisch gespielt. War das schwer?

    Ich konnte zwei Szenen auf Russisch spielen, die hatte ich vorbereitet. Das war wirklich ein Sprung ins kalte Wasser. Zum Beispiel die Szene im Theater, wo ich ja nicht so viel Text habe. Aber vor allem die große Szene, die berühmteste Szene, die Szene am Patriarchenteich, womit das Buch beginnt – im Film kommt sie später –, habe ich komplett auf Deutsch gespielt und das war auch beim Nachsynchronisieren am schwersten.

    Aber ich finde es generell immer toll, in einer anderen Sprache zu spielen. Man fragt sich weniger, ob man sich selbst das glaubt, weil man ja eh schon sehr fremd klingt. Es ist quasi wie ein zusätzliches Kostüm, eine zusätzliche Maske, die einem helfen kann. Also ich mag das, in anderen Sprachen zu spielen, aber im Russischen war es nun wirklich schwierig, weil ich mir eigentlich nur Notizen gemacht habe für das Stichwort meines Partners: Wenn er das auf russisch sagt, dann bin ich dran. Ich hatte so ein Notizbuch, in das ich letztens noch einmal reingeguckt habe, weil man ja immer lernt, auch als Schauspieler, dass man dem Partner zuhören muss und aus dem, was man da hört, die Reaktion kommt. Das war in dem Fall nicht möglich, ich habe das ja nicht verstanden, was die mir gesagt haben. Ich wusste nur, was sie sagen, und ich fand sie alle wahnsinnig gut im
    Spiel, unglaublich! Aber dann habe ich mir gedacht und offenbar auch so notiert: Das ist genau das Ding von Woland. Sein Gegenüber ist für ihn ein weißes Rauschen, ein Rätsel, ein Klang. Das passte zu der Figur eines Teufels für mich.

    Aber natürlich hört er auch zu, es gibt ja ein Wahnsinnsgespräch am Anfang. Anscheinend ist er bei Bulgakow jemand, der an intellektuellen Gesprächen interessiert ist, was sehr lustig ist. Dadurch wird das Ganze sehr humorvoll. Woland ist jemand, der die Menschen seit Tausenden von Jahren immer noch studiert und nicht aufhören kann, sich auf die Schenkel zu klopfen, wie seltsam dieses Wesen ist, das sich immer wieder neue Systeme baut und immer wieder den gleichen Fehler macht, seit Jahrtausenden. Mit dieser Haltung habe ich versucht, in die Szenen zu gehen, auch über Atheismus. Nach dem Motto: Jetzt baut ihr euch hier dieses System auf, ist ja interessant. Wenn
    man als jemand guckt, der 8000 Jahre lang die Menschheit verfolgt hat, wird klar, der hat schon einige Systeme gesehen, die alle in ihrer Erfindung glorreich gewesen und irgendwann einfach verpufft sind.

    Letztlich ist es das, was Woland rüberbringt, und das ist eigentlich etwas Gutes. Deswegen ist er auch ein Goethescher Mephisto, einer, der stets das Böse oder das Chaos will, aber trotzdem das Gute schafft, weil er nämlich sagt: Das Einzige, was nicht brennen kann, sind Manuskripte. Will heißen: Das Geistige, das, was wir uns denken, die Gedanken sind frei. Das ist das Einzige, was man nicht in Ketten legen kann und was nicht eingesperrt werden kann. Ich glaube, das ist auch ein Gedanke, der jetzt gerade in Russland wichtig für die Leute ist, und ich glaube, es ist auch ein Grund für den Erfolg dieses Films in Russland.



    Wie hast Du Dich auf die Rolle vorbereitet?

    Michael und ich haben das ganz stark zusammen entwickelt. Der Teufel ist ja keine Figur, also kein Charakter. Da muss man sich was ausdenken, wie der ist. Außerdem gibt es in der Literatur und in der Geschichte tausend verschiedene Arten von Teufeln. Eklige, verkrüppelte, dumme, schlimme Teufel und elegante, intelligente, schnelle, schöne Teufel. Es gibt alles in der Literatur, man muss halt rauskriegen, wie der ist. Woland ist ja wie eine Trinität, letztendlich eine negative Trinität. Es gibt ihn selbst, er hat aber auch Azzazelo. Das ist der brachiale, brutale, wirklich gefährliche, tötende Teufel. Und er hat den absolut wirren, verwirrenden Korowjew – die tollste Rolle in dem ganzen Film, finde ich. Ich habe Woland immer gesehen, als wenn er eigentlich alle drei ist. Und natürlich ganz wichtig: Behemoth, der Kater, das Animalische.


    Viele der Szenen im Film spielen auf Theaterbühnen. Kam Dir hier Deine langjährige Theatererfahrung zugute?

    Ich habe keine Angst, theatralisch zu sein, weil ich das nicht negativ, sondern für bestimmte Filme großartig finde. Jeder Tarantino-Film ist ein Theaterfilm. Da ist nichts realistisch, das ist sogar fast Oper. Realität hat mich auch immer fasziniert, aber dieser Film hat so wunderbar viele verschiedene Genres und Theater ist eines davon. Die Figur des Woland hat natürlich etwas sehr Theatrales. Sie ist ja eine Erfindung des Schriftstellers.

    Woland ist der Teufel in Person und verhält sich dementsprechend diabolisch. Hat dieses enthemmte Spiel Spaß gemacht? Wie ist es, den „Bösen“ zu spielen?

    Der Antagonist ist immer eine schöne Aufgabe für einen Schauspieler, aber ich würde nie darüber nachdenken, ob eine Figur böse ist. Beim Woland ja, weil er der Teufel ist. Aber da habe ich auch versucht, ihn gar nicht so böse zu spielen, sondern eher wie einen neugierigen Insektenforscher. Einer, der ein bisschen verrückt ist und der eben übernatürliche Kräfte hat, die ich aber nicht spielen muss, weil der Film sie ja zeigt. Die meisten Antagonisten sind schlicht Figuren, die gerne ihren eigenen Film hätten, um die Geschichte aus ihrer Sicht zu erzählen. Aber der Zuschauer folgt eben der Identifikationsfigur, der Antagonist ist generell jemand, dessen Film nicht erzählt wird.


    Der Film ist trotz massiver Gegenwehr aus den Reihen nationalistischer Russen zum echten Kassenschlager in Russland avanciert. Wie hast Du diesen Erfolg wahrgenommen?

    Ich war, muss ich ganz ehrlich sagen, sehr überrascht von diesem Wahnsinnserfolg, weil er nun wirklich einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten in Russland ist. Ich mag den Film und will gar nicht sagen, dass es mich überrascht hat, weil ich den Film nicht stark genug finde für einen großen Erfolg. Das meine ich gar nicht, sondern warum er in Russland so einschlägt. Alle fingen an zu sagen, Bulgakow ist so wahnsinnig aktuell. Und, naja, wenn sich ein System über einhundert Jahre lang nicht wirklich ändert, dann ist das nicht der Verdienst des Autors, dass er aktuell ist, sondern da spielt ihm die Zeit in die Hände. Es ist eher traurig, dass Bulgakow noch aktuell ist. Dass Zensur, eines der Hauptthemen in diesem Roman, immer noch aktuell ist. Wenn ich mir den Film angucke, kann ich verstehen, warum Bulgakow alles, was er sagen wollte, verschlüsselt zu sagen versuchte: Weil es unter Stalin unglaublich schwer war, es ganz direkt zu sagen. Das war schon ein wahnsinniges Wagnis, überhaupt die Bibel oder biblische Themen in diesen Roman einzubauen. Deswegen hat er alles humoresk aussehen lassen, damit man ihm nicht wirklich was kann. Die russische Bevölkerung verstand das aber und versteht es auch heute noch. Sie sind sehr symbolaffin und haben über die Jahrhunderte gelernt, im Kryptischen zu lesen. Sie wissen ganz genau, was es heißt, wenn gesagt wird: Manuskripte brennen nicht. Dieser Roman ist einer, den wirklich fast jeder Russe gelesen hat, und er ist vor allem bei Frauen wahnsinnig beliebt. Die Russen können ganze Sätze auswendig zitieren. Ein unglaublicher Kult.

    Ich habe mir schon gedacht, dass es vielleicht ein Erfolg wird, aber das hat mit so vielen Komponenten zu tun, die ich mir selbst auch nur zusammenreimen kann. Ich glaube, auch die hysterische Reaktion der kremlnahen Leute ist ein Grund für den Erfolg. Wenn die so reagieren, sagt man sich doch, dann muss ich da reingehen! Dann wurde der Film so ein großer Erfolg, dass die russische Regierung überlegt hat, ihn abzusetzen, aber dann wäre es ja nun wirklich ein Kultfilm geworden. Es wird also irgendwann so ein Spiel daraus. Es geht um Zensur, es geht um eine Gesellschaft, die ausgrenzt, die bestimmten Leuten verbietet, Dinge zu sagen, die nicht gesagt sein sollen. Das ist 1930 so gewesen, und das ist traurigerweise 2025 immer noch so. Damit hat der Erfolg zu tun, glaube ich, neben dem, dass der Film auch toll ist. Wir werden sehen, wie das jetzt ist, wenn er in die westliche Hemisphäre kommt. Ich bin sehr froh, dass es jetzt einen deutschen Verleih gibt. Es ist ja sehr schwer, weil alles, was Russisch ist, im Moment verständlicherweise im Westen gebannt wird, aber man muss ja auch sehen: Der Film selbst ist ein bisschen wie ein Immigrant, der in Russland von kremlnahen Leuten nicht gewollt wird und jetzt zu uns kommt. Vielleicht sollten wir überhaupt die russischen Immigranten insgesamt nicht einfach so über einen Kamm scheren, weil wir sonst das gleiche machen wie Putin. Vielleicht ist es wirklich einer der letzten freien Filme, zumindest vor dem Krieg, die dort gemacht wurden. Der Kreml hat sich sehr darüber aufgeregt, wie das unter seiner Nase passieren konnte, aber letztendlich ist es ein Roman aus ihrer eigenen Geschichte.


    Aus Russland kamen seit vielen Jahrhunderten so unglaublich starke Sachen, von Musik über Malerei bis hin zu Literatur. Aber traurigerweise haben die Russen diese Menschen alle verfolgt. Mir fällt kaum jemand ein, der groß war und nicht zu Lebzeiten gelitten hat. Das ist eine traurige Wahrheit. Ob es Tschaikowsky ist, ob es Rachmaninow, ob es Schostakowitsch, ob es Dostojewski ist. Alle wurden verfolgt, haben gelitten, durften nicht sagen, was sie sagen wollten, aber irgendwie haben sie doch das Licht der Welt erblickt und viele von ihnen wurden dann auch im Westen entdeckt, vor allem in Frankreich zum Beispiel. Das hoffe ich jetzt für unseren Film auch.

    Nach dem großen Erfolg in seinem Heimatland kommt DER MEISTER UND MARGARITA nun auch in Deutschland in die Kinos. Was kann der Film dem deutschen Publikum mitgeben, auch wenn er im Russland der 1930er Jahre spielt?

    Der Film ist gar nicht so spezifisch russisch. Das könnte auch ein Film über die 30er-Jahre in Deutschland sein. Vielleicht müsste man manches im Hintergrund verändern, aber letztendlich hätte man das gleiche. Diese Zeiten kommen ja wieder, wie wir merken. Ich glaube, dass der Film unglaublich aktuell ist, nicht nur in Russland. Wir sollten uns da nicht ausnehmen, obwohl Russland schon ein extremeres Beispiel ist. Die Welt geht gerade sehr stark in eine falsche Richtung, das kann man nicht leugnen. In einer der letzten Szenen im Film blickt Woland auf die brennende Stadt, Moskau versinkt im Chaos und er sagt: „Ist schon eine unglaubliche Stadt“, und daraufhin sagt
    Azzazelo, sein Partner, den er seit 8000 Jahren bei sich hat: „Ich fand Rom interessanter!“ In dem Moment hab‘ ich gedacht: Aha, die sind quasi seit Jahrtausenden unterwegs, lassen Reiche aufgehen und wieder untergehen, und waren
    zuletzt in Rom. Ich fragte mich damals noch: Wohin gehen die denn jetzt als nächstes? Da kam mir sofort der Gedanke: Die gehen jetzt nach Amerika.
    Infos
    Originaltitel:
    Master i Margarita
    Land:
    Russland, Kroatien
    Jahr:
    2023
    Studio/Verleih:
    Capelight Pictures
    Regie:
    Michael Lockshin
    Produzent(en):
    Ruben Dishdishyan, Len Blavatnik, Anatoliy Akimenko
    Drehbuch:
    Michael Lockshin, Roman Kantor, Mikhail A. Bulgakov
    Kamera:
    Maxim Zhukov
    Musik:
    Anna Drubich
    Genre:
    Drama, Fantasy, Bucherfilmung
    Darsteller:
    August Diehl, Yulia Snigir, Evgeniy Tsyganov, Claes Bang, Yuri Kolokolnikov u.a.
    Inhalt:
    Moskau in den 1930er-Jahren: Das Werk eines bekannten Schriftstellers (Jewgeni Zyganow) wird vom sowjetischen Staat zensiert und die Premiere seines Theaterstücks abgesagt. Inspiriert von seiner Geliebten Margarita (Julia Snigir), beginnt er mit der Arbeit an einem neuen Roman, in dem er sämtliche Menschen aus seinem realen Leben in satirisch überspitzter Gestalt auftreten lässt. Im Mittelpunkt steht Woland (August Diehl) als mystisch-dunkle Macht, die Moskau besucht, um sich an all jenen zu rächen, die für den Ruin des Autors verantwortlich sind. Während der Meister, wie dieser sich fortan nennt, immer tiefer in seine Geschichte eintaucht, vermag er allmählich nicht mehr zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden …
    Start (DE):
    01.05.2025
    Laufzeit:
    156
    FSK:
    ab 12 Jahren

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