The Nightingale

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  • Einleitung


    Die in Australien geborenen Filmemacherin Jennifer Kent feierte mit dem Horrorfilm Der Babadook ein angesehenes Spielfilmdebüt. Mit ihren zweiten Langfilm widmet sich sich nun einer sehr dunklen Zeit der australischen Geschichte, die zu häufig in Vergessenheit gerät. Ihre Handlung ist im Tasmanien des 19. Jahrhunderts angesiedelt. Die Insel südlich von Australien diente den Engländern damals als Strafkolonie, in dessen Zuge die Ureinwohner in einem immensen Tempo abgeschlachtet wurden.

    Genau in diesem Zeitraum platziert Kent ihre Geschichte. Im Zentrum von The Nightingale steht Clare, eine Irin, die nach ihrer Verurteilung dem Willkür eines englischen Offiziers ausgesetzt ist. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Baby hofft sie aber, demnächst ihre Freiheit zu erlangen. Nachdem ihr Mann sich dem erniedrigenden Verhalten des Offiziers nicht mehr unterwerfen möchte, eskaliert die Situation, in dessen Folge Claire ihren Mann und ihr Baby verliert.
    Nach den Gräueltaten zurückgelassen beschließt Claire sich mit der Hilfe eines Aborigines auf die Jagd nach den Soldaten durch die tasmanische Wildnis zu machen.

    Kent, die abermals für das Drehbuch wie die Regie verantwortlich war und darüber hinaus auch noch als Produzentin in Erscheinung trat, konnte für ihr Thriller-Drama unter anderem Aisling Franciosi (The Fall), Damon Herriman (Once Upon a Time... In Hollywood), Sam Claflin (Ein ganzes halbes Jahr) und der noch recht unbekannte Baykali Ganambarr als Darsteller gewinnen.

    © 2020 Koch Films

    Kritik


    Regisseurin und Drehbuchautorin Jennifer Kent bietet gleich in der Anfangsphase von The Nightingale eine Reihe von äußerst schwer verdaulichen Szenen. Neben mehreren schweren sexuellen Übergriffen gegenüber der Hauptfigur Claire sind aber auch der Mord an ihrem Mann und vor allem an ihrem Baby von solch einer rauen Intensität, dass es wahrlich nicht einfach zu ertragen ist. Dabei muss man der Filmemacherin aber zugestehen, dass sie all diese Gewalttaten ohne jeglichen Voyerismus inszeniert und auch auf allerlei inszenatorische Spielereien verzichtet. Aber gerade durch diese Direktheit fahren diese Szenen durch Mark und Bein.
    Und auch bei den noch kommenden brutalen Geschehnissen verzichtet Kent darauf Gewalt zu zelebrieren. Sie wir ungeschönt dargelegt, aber verkommt dabei niemals zum Selbstzweck. Selbst wenn Claire bei ihrem Rachefeldzug ihr erstes Opfer in die Finger bekommt, ist es kein Zufall, dass die blutigste Hinrichtung gerade denjenigen trifft, der von den Tätern noch am meisten Menschlichkeit in sich trägt. Danach folgt sie zwar weiterhin ihrem gewaltbereiten Pfad, doch wird auch deutlich, dass der Mord an einem ihrer Peiniger ihr nicht die emotionale Erleichterung gegeben hat, die sie sich erhofft hat.
    Gerade ihre blinde verzweifelte Wut treibt sie in ihrem Handeln weiterhin unangefochten an, bis diese erst nach geraumer Zeit einen Wandel erfährt.

    Auch wenn Claires Schicksal einen Einblick in die Situation der Strafkolonien wirft, gibt sich Kent damit nicht zufrieden. Durch Claires Führer Billy, den sie engagiert, um der Fährte ihrer Gejagten durch das dichte Dickicht der tasmanischen Wildnis folgen zu können, wird auch ein Eindruck von dem vermittelt, wie mit den Ureinwohnern umgangen wurde. Auch wenn die entsetzlichen Taten, die die Einwanderer den Aborigines zufügten, noch bei weitem das in The Nightingale Gesehene übersteigen, so gelingt es der Regisseurin dennoch ein beängstigendes und abstoßendes Gefühl davon zu vermitteln. Mit welcher Abscheu die Weißen den Schwarzen gegenübertreten, mit welcher Erniedrigung Claires Begleiter Billy immer wieder konfrontiert wird, zeigt sich in dezenten und den ebenso offen wie direkten Augenblicken. Dabei macht es sich Kent allerdings nicht so leicht und lässt Claire als Gutmenschen gegenüber der Aborigines auftreten, sondern auch sie muss erst lernen, diese als menschliche Wesen zu sehen. Ebenso tritt aber auch Billy mit Abneigung, Misstrauen, ja sogar Hass ihr gegenüber, wobei aber gerade letztgenanntes Gefühl bezogen auf die Engländer sie schließlich zusammenführt. So gelingt es der Australierin über ihre Rachegeschichte mit historischer Momentaufnahme ebenso noch eine Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft zu erzählen. Und diese meistert sie ohne ausgetretene Klischees zu bedienen.

    © 2020 Koch Films


    Wo die Soldaten auf dem Weg durch die beängstigende Natur Tasmaniens selbst noch Gräueltaten an Eingeborenen verüben, begegnen Claire und Billy nicht nur den Schauplätzen der Auseinandersetzungen von Aborigines und Weißen, sondern sehen sich auch immer wieder mit Menschen konfrontiert, die jegliche Hemmschwellen zu unmenschlichen Taten lange überschritten haben.
    Die stetige herrschende Bedrohung durch die Menschen ergänzt Kent noch zusätzlich durch die Gefahr, die durch die Natur ausgeht. Trotz der teils beeindruckenden Aufnahmen der Wildnis, lässt die Regisseurin ein allumfassendes beklemmendes Gefühl entstehten, das ihr auf der einen Seite durch das ungewöhnliche fast quadratische Bildformat gelingt, aber auch durch die respekteinflößenden riesigen Bäume und das immer wieder undurchdringlich wirkende Dickicht.

    Schauspielerisch wird bei The Nightingale durchweg hohe Qualität geboten. Auch wenn Baykali Ganambarr und Aisling Franciosi als ungleiches Duo durchaus noch etwas mehr aus ihren Rollen hätten rausholen können. Ganambarr agierte teilweise doch etwas unbeholfen in seiner Körperlichkeit und Franciosi hätte ihrer Wut eventuell ein paar mehr Facetten abgewinnen können, damit ihre emotionale Verfassung in der ersten Hälfte noch etwas einnehmender geworden wäre. Aber das ist auch Kritik auf hohem Niveau. Sam Claflin hingegen ist als in seinem Verhalten ekelhafter Offizier erschreckend großartig und gewinnt seiner Figur ungemein viele Nuancen ab. Generell herrscht zwischen den gejagten Soldaten eine starke Dynamik, die durch die Unberechenbarkeit von Claflins Antagonisten an den Nerven kratzt.

    The Nightingale ist wirklich schwer zu ertragener Stoff. Dennoch übt das Werk eine ungemeine Faszination aus, was in erster Linie der hervorragenden Inszenierung zu verdanken ist. Man hat stets das Gefühl, dass Jennifer Kent ganz genau weiß, was sie erzählen und zeigen möchte. Mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit meistert sie dieses sensible und erschreckende Material. Unter der Leitung eines Falschen, hätte daraus schnell ein einfach nur abstoßender Gewaltexzess werden können. Doch Kent gelingt ein beängstigendes psychologisches Thriller-Drama zu formen, das einen nicht nur schockt, sondern auch emotional einnimmt. So hallt das Werk noch lange nach.

    © 2020 Koch Films

    Fazit


    Mit The Nightingale ist Jennifer Kent nicht nur ein Werk gelungen, das auf eine erschreckende Zeit in der englischen Kolonialzeit aufmerksam macht, sondern auch ein Thriller-Drama, das mehrfach emotional unter die Haut geht. Das Gesehene ist häufig schwer zu ertragen und dennoch gelingt es der Regisseurin wie Drehbuchautorin einen beängstigend faszinierenden Sog zu kreieren.


    8/10

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    Infos
    Originaltitel:
    The Nightingale
    Land:
    Australien
    Jahr:
    2018
    Studio/Verleih:
    Transmission Films / Koch Films
    Regie:
    Jennifer Kent
    Drehbuch:
    Jennifer Kent
    Kamera:
    Radek Ladczuk
    Musik:
    Jed Kurzel
    Genre:
    Thriller, Drama
    Darsteller:
    Aisling Franciosi, Baykali Ganambarr, Sam Claflin, Damon Herriman
    Start (DE):
    25.06.2020
    Start (USA):
    02.08.2019
    Laufzeit:
    136 Minuten
    FSK:
    keine Jugendfreigabe
    Bilder
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