Joe Bell

Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

  • Einleitung


    Ob in Filmen wie Wild - Der große Trip, Dein Weg oder Spuren, ja selbst im Klassiker Forrest Gump half das Wandern beziehungsweise das Laufen den Menschen Antworten zu finden. Dass das nicht nur in fiktionalen Geschichten so ist, beweist auch die Tatsache, dass solche Werke gerne mal auf wahren Begebenheiten beruhen - so auch Joe Bell.

    Dort muss sich ein Vater damit auseinandersetzen, dass sein Sohn in einer konservativen US-Kleinstadt den Mut aufbringt, sich offen als schwul zu outen. Dass er dadurch extremen Mobbing-Aktionen ausgesetzt ist, kann der Vater nur überfordert hinnehmen. Doch als sein Sohn einen tragischen Schritt wählt, gerät die Welt von Joe Bell gänzlich aus den Fugen. Daraufhin beschließt Bell aktiv zu werden und sich auf eine Wanderung quer durch Amerika zu begeben.

    Als Darsteller konnten unter anderem Mark Wahlberg (Shooter), Reid Miller (Play by Play), Connie Britton (Dirty John) und Gary Sinise (The Green Mile) gewonnen werden.

    Die Regie übernahm Reinaldo Marcus Green (Monsters and Men).

    © 2021 Leonine

    Kritik

    Menschen, die sich auf einen Pfad der Selbstfindung begeben, inspirierten bereits zahlreiche Filme. Einige davon basierten dabei auf wahren Begebenheiten. Und zu denen gehört auch Joe Bell, dessen titelgebende Hauptfigur sich zu Fuß auf einen rund 8000 Kilometer langen Weg durch die USA macht, nachdem seine Familie von einer Tragödie heimgesucht wurde. Bells Sohn Jadin, der wegen seiner sexuellen Ausrichtung unter schwerem Mobbing litt, nahm sich in diesem Zug das Leben, was den von Schuldgefühlen heimgesuchten Vater zu dieser Reise inspirierte. Auf seinem langen Weg nahm er sich vor, vor Gruppen über Mobbing zu sprechen und so auf die fatalen Auswirkungen aufmerksam zu machen. Also, eigentlich eine starke Grundlage, um einen berührenden Film mit einer starken Message zu kreieren. Regisseur Reinaldo Marcus Green gibt sich auch sichtlich Mühe, seinem Werk visuell die nötige Klasse zu schenken, damit der Zuschauer abgeholt wird. Optisch ist Joe Bell auch wirklich toll gelungen und Green findet zahlreiche wundervolle Motive, um seine Geschichte mit der nötigen Wucht zu erzählen. Jedoch möchte das Drehbuch bei dieser Qualität einfach nicht mithalten. Zwar wird Bells Reise auch überraschend häufig hinterfragt und nicht gänzlich glorifiziert, doch wird genau dieser Zweifel an der Aussagekraft der Wanderung und der Vorträge zu sehr zu einem allumfassenden Gefühl. Vor allem, wenn Bell vor Gruppen spricht, sind seine Ansprachen nichts weiter als klischeehafte Floskeln, die kaum eine tragische Bandbreite besitzen. Folglich fragt man sich als Zuschauer immer wieder, so gut gemeint die Aktion des Protagonisten auch ist, was er eigentlich bezweckt. Möchte er wirklich etwas verändern und den Menschen die Augen öffnen? Oder ist er eigentlich nur auf einem Weg der Selbstverwirklichung (diese Frage wird sogar im Film von seiner Frau aufgeworfen)? Oder ist Bell eventuell einfach nur unterwegs, um Vergebung zu finden? Das sind sogar spannende Fragen, auf die letztendlich aber keine Antworten geliefert werden oder gar tiefergehend erforscht werden. Zum Ende hin schlägt man zwar deutlich die Richtung der Vergebungssuche ein, doch hat sich die Figur Joe Bell im Vorfeld viel zu wenig, mit sich selbst auseinandergesetzt, damit der Zuschauer ihm diesen Wunsch auch gönnt. Denn an dieser Stelle tritt ein weiteres Problem des Werks zutage.
    Der Protagonist ist über weite Strecken einfach unfassbar unsympathisch trotz Mark Wahlbergs ordentlicher Performance. Als Vater lässt Bell seinen Sohn in den schwierigsten Augenblicken im Stich und setzt sich in keinem Augenblick für ihn ein. Er ist trotz seiner altmodisch männlichen Ansichten dann letztendlich doch nur ein ungemein großer Feigling, der, so wie es zumindest im Film dargestellt ist, fraglos einen immens großen Anteil an dem Selbstmord seines Sohnes trägt. Denn die Verantwortung, die er als Vater trägt, seinem Kind ein Zuhause zu schenken, in dem es geschützt und geborgen ist, kommt er zu eigentlich keinem Zeitpunkt nach. Und seine Frau, die zwar ihrem Sohn deutlich emphatischer gegenübertritt, sieht sich das Ganze letztendlich aber auch nur an und bringt nicht die Größe auf, zumindest ihrem Mann zu einem einfühlsameren Verhalten zu bewegen. Oder ihn zumindest Konsequenzen seiner Umgangsform spüren zu lassen. So bekommt Jadin stetig das Gefühl, dass etwas mit ihm nicht in Ordnung ist.

    Doch glücklicherweise gelingt es den Machern die Figur Jadin wundervoll zu zeichnen, sodass man als Zuschauer von ihm immer wieder berührt wird. Das liegt in großen Zügen aber auch an der phantastischen Darbietung von Reid Miller. Voller Energie und Liebe erweckt er die Figur zum Leben, sodass jeder Rückschlag, jede Erniedrigung unweigerlich wehtut. Reid ist es dann auch letztendlich, der das Werk noch vor einem gänzlichen Absturz rettet und den Zuschauer bis zum Ende mitfühlen lässt. Denn ihm wünscht man es, dass sein Tod nicht gänzlich umsonst war. Wenn auch diese Geschichte (ganz besonders mit Sicht auf die realen Hintergründe, auf die der Film zurückgreift) einmal mehr ein Musterbeispiel dafür ist, dass die Menschen erst aufgeweckt werden, wenn die Katastrophe bereits eingetroffen ist. Und das ist noch einer der traurigsten Aspekte von Jadins Schicksal.

    © 2021 Leonine


    Unterm Strich war die Entscheidung, den Fokus auf Joe Bell zu legen, in dieser Form definitiv die falsche. Denn solange es wahrhaftig um Jadin geht, ist das Werk durchgängig stark und offenbart immer wieder kraftvolle wie erschütternde Szenen. Doch sobald der Fokus von ihm weg wandert, bricht der Film von Reinaldo Marcus Green ein und man fragt sich, was die Macher einen abseits des Offensichtlichem eigentlich erzählen möchten.

    Fazit


    Visuell und darstellerisch ist das Werk von Reinaldo Marcus Green fraglos gelungen. Doch dramaturgisch entglorifiziert man seinen titelgebenden Protagonisten Joe Bell auf derartige Weise, dass man wenig Enthusiasmus und Mitgefühl für ihn und seine Aktionen aufbringt. Lediglich Reid Millers tolle Darbietung als Sohn von Joe hält den Zuschauer emotional im Geschehen, was den Film vor den Absturz in den unteren Durchschnitt rettet.




    5/10

    :stern: :stern: :stern: :stern: :stern: :stern2: :stern2: :stern2: :stern2: :stern2:
    Infos
    Originaltitel:
    Joe Bell
    Land:
    USA
    Jahr:
    2020
    Studio/Verleih:
    Leonine
    Regie:
    Reinaldo Marcus Green
    Drehbuch:
    Diana Ossana, Larry McMurtry
    Kamera:
    Jacques Jouffret
    Musik:
    Antonio Pinto
    Genre:
    Drama
    Darsteller:
    Mark Wahlberg, Reid Miller, Connie Britton, Gary Sinise
    Start (DE):
    10.12.2021 (Heimkino)
    Start (USA):
    23.07.2021
    Laufzeit:
    94 Minuten
    FSK:
    ab 12 Jahren
    Bilder
    • Joe-Bell-03.jpg

      127,9 kB, 1.500×999, 281 mal angesehen

    2.650 mal gelesen