Twin Peaks - Season 1

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    Es gibt 81 Antworten in diesem Thema. Der letzte Beitrag () ist von Bavarian.

      Ein derart verstörendes, düsteres und surreales Mysterium mit solch einer Größe einfach mal inmitten einer irren Seifenoper zu platzieren, ist halt einfach nur geil. Ich kenne weder einen Film, noch eine Serie, der/die mir persönlich dermaßen viele ikonische Elemente auftischt, an denen ich mich so sehr erfreue und bei denen ich mich so wohl fühle. Das altbacken-verträumte Intro, die genial inszenierte Black Lodge, die holzig-warmen Kulissen, die Douglastannen, der Kaffee, der Kirschkuchen, der gesamte Score - Twin Peaks ist einzigartig.

      Ich habe die kurze Staffel 1 nun in recht gemächlichen Genuss-Tempo in den letzten beiden Wochen angesehen und bin zum x-ten Mal völlig verzaubert. Mit welcher Leichtigkeit hier überzeichnete Soap-Elemente mit düsteren Mysterien vereint werden, ist eigentlich eine Sache der Unmöglichkeit. Doch Lynch, Frost und Co. servieren das alles einfach perfekt. Season 1 wirkt wie aus einem Guss. Für mich der erste Rewatch nach Season 3 bzw. The Return. Und es ist sehr reizvoll, welchen Schatten diese Staffel, die 26 Jahre später folgen sollte, auf mein Twin Peaks-S1-Erlebnis wirft. S3 hat eine Komplexität, Tiefe und Meta-Ebene erschaffen, die Season 1 ab und an einholt oder zumindest mitschwingt - und ihr sehr viel gibt. Sei es in konkreten Plotinhalten, bei kleinen Details innerhalb der Figurendynamik oder schlichtweg was Atmosphäre und Emotionen angeht. Natürlich gibt es viele Szenen oder gar Phasen, in denen die späteren S3-Eindrücke für mich keine Rolle spielen, doch allein schon die Tatsache, wie "groß" die Serie durch S3 noch wird, hat durchaus Impact. Auf einer Gefühlsebene fand ich es z. B. sehr rührend, dass man bereits in S1 merkt, dass Hawk recht empathisch mit der "durchgeknallten" Log Lady umgeht und sie respektiert. Daher auch schlüssig, dass die beiden in S3 dann sehr rührende Momente miteinander haben. Nur als klitzekleine Randnotiz. Wobei in Twin Peaks eben genau diese Kleinigkeiten zählen.

      Lynch und Frost haben das schon geschickt eingefädelt und dürfen sich aufgrund sehr dankbar gewähltem Genre-Konstrukt so einiges im Drehbuch erlauben. Einer Soap verzeiht man Zufälle und konstruierte Plotentwicklungen - einfach weil. Dasselbe gilt für Mysterien und dem Surrealen. Da kann und muss es große Zufälle geben. Abgedroschene "Belausch-Situationen", Figuren, die sich von ihren Träumen leiten lassen. Lynch spielt hier mit den Genregrenzen, durchbricht übliche Plotrahmen und geht verspielt und parodisch mit Logik um. Ohne dabei aber der eigenen Stringenz auf die Füße zu treten. Es gibt diese Szene auf der Wache, in der Lucy über das Lautsprecher-Durchsage-System eine Info an Coop und Co. durchgibt. Coop kommuniziert mit Lucie im Dialog, obwohl sie ihn natürlich eigentlich nicht hören dürfte. Oder Audrey, die irgendwann die Juke-Box im Diner anmacht und dann zu dem Score tanzt, den eigentlich nur wir Zuschauer hören dürften. Twin Peaks ist auch in den vermeintlich realen Momenten gerne mal surreal.

      Schauspielerisch sind es vor allem mal wieder Kyle MacLachlan als Special Agent Dale Cooper und Sherilyn Fenn als Audrey Horne, die mir sehr imponieren. Coop: Selten war eine Figur so bieder und so arschcool zugleich. Im Pilotfilm sind noch leichte Anflüge von Arroganz wahrzunehmen, doch schnell assimiliert er sich in Twin Peaks und wird auf seine eigene Art und Weise zu einem unvergleichlichen Sympathieträger. Während Audrey ein verunsichertes, frustriertes sowie tief-trauriges Mädchen und eine charismatische, manipulierende und sinnliche Frau in sich vereint. Sie erinnert an die Rolle, die MacLachlan in Blue Velvet spielte. Beide liefern spektakulär ab. Aber auch die vielen exzentrischen Nebenrollen machen Twin Peaks zu dem, was es ist. Jack Nance als Pete Martell (sowieso sehr cool, dass ihm die erste wirkliche Szene gehört. Mit ihm hat als Eraserhead-Hauptdarsteller ja alles so richtig begonnen für Lynch...), dann der durchgeknallte Psychologe Dr. Jacoby oder aber die piepsende Lucy. Apropos Lucy. In den Extras der Entire Mystery-Blu-ray-Collection gibt es ihre Episoden-Previews, die - so nehme ich an - am Tag der TV-Ausstrahlung damals im Vorprogramm als Werbung liefen. Das ist pures Gold, unendlich amüsant. Auch in diesen Momenten präsentiert sich Twin Peaks als satirische Crime-Soap, die bewusst zum Gossip degradiert wird. Und haut einem dann später wieder düstere Abgründe und unheilvolle Mysterien um die Ohren.

      Spannend zu sehen - hatte ich nämlich so auch gar nicht mehr auf dem Schirm - das bereits in der Pilotfolge sowie in Episode 2 große (surreale) Kernelemente vorgestellt werden (Black Lodge, Bob, Fire Walk With Me-Inhalte, Windom Earle), diese dann aber zunächst erstmal total ruhen. Als hätte es sie nie gegeben. Das einem breiten Serienpublikum in den frühen´90ern in der Form zuzumuten, war schon absolut Bad Ass. Das alles wurde dann erst in S2 wieder intensiver aufgegriffen.

      Insbesondere in Erinnerung sind mir diesmal die Momente der Pilotfolge in Erinnerung geblieben, in der die berüchtigte Botschaft "Laura Palmer is dead" an verschiedene Personen überbracht wurde. Und wie intensiv diese Momente inszeniert wurden. Sehr eindringlich und mitreißend. Dann hält die Kamera wieder auf diesen unangenehm wirkenden Ventilator. Der sich weiterdreht. Und dem ganz egal ist, ob Laura noch lebt oder nicht. Auch in Twin Peaks greift Lynch immer wieder die Mensch-Technologie-Beziehung auf und widmet sich dabei auch der Natur, in der viele Energien liegen. Gute wie böse. Von Log-Ladys Baumstamm bis hin zu den Eulen. Oben drein der so gern mit Holz arbeitende Regisseur, der sich in einem seiner Plots einem Sägewerk und dessen Zerstörung widmet.

      Dass in Twin Peaks jeder Bewohner zählt, beweist auch das Stadtschild, auf dem eine Population von 51.201 angegeben ist. Und wie wir wissen: Laura is the one. Die 01 auf dem Schild. Die eine, die alles ins Wanken bringt, die düstere Geister heraufbeschwört, die nie zu sehen, aber schon immer da waren. Die den American Dream und die Kleinstadtidylle kippen lässt. Und mit der Lynch erneut seine Judy Garland-Obsession auslebt.

      In Lynchs Filmografie spielen Doppelgänger und "Tulpas" (= tibetanische Mythologie: Eine Manifestation von Gedanken, die jede gewünschte Gestalt erzeugen kann) eine riesige Rolle. Im Falle Twin Peaks arbeitet Lynch sehr augenzwinkernd/spielerisch mit vergleichbaren Doppelgänger-Elementen und damit sehr passend für den soapigen Touch der Serie. Hier hätten wir Sheryl Lee, die eine sehr provokante Doppelrolle in Twin Peaks spielt. In S2 wird dann völlig grotesk mit Verkleidungen gearbeitet
      Spoiler anzeigen
      ("Catherine"/ "Mr. Tojamura")
      und S3 geht dann mit dem
      Spoiler anzeigen
      drei-geteilten Coop
      sowieso All-In.

      Ein Ort zum Wohlfühlen. Und ein Ort zum Fürchten. Zwischen einem üppigen Donut-Buffet, abgründiger Gewalt, einer schnulzig-geheimen Liebelei und existenz-bedrohenden Wesen liegen in Twin Peaks oftmals nur Wimpernschläge. Und das macht Twin Peaks zu Twin Peaks.

      Zwischen S1 und S2 verabreiche ich mir nun erstmal zwei Bücher, die die Lore der Serie erweitern.






      Dieser Beitrag wurde bereits 4 mal editiert, zuletzt von „Bavarian“ ()

    • Teilen

    • Ähnliche Themen