Die Bluray hatte ich mir wenige Tage vor dem Tode von Ennio Morricone zugelegt. Hat mir einerseits noch in der Sammlung gefehlt und andererseits hatte ich den schon so lange nicht mehr gesehen, dass es ohnehin mal wieder Zeit wurde für eine Neusichtung. Morricones Ableben hat mich dann motiviert, die Disc tatsächlich letzten Sonntag einzulegen.
- Once Upon a Time in the West
Spärliche Dialoge. Keine Einführung im eigentlichen Sinne. Aufnahmen von endloser Wüstenlandschaft. Schmutzige, zerknautschte und unattraktive Gesichter. Schweißperlen und lästige Fliegen. Keine musikalische Untermalung, nur Geräusche, die die Trägheit, die Hitze, die mieße Stimmung einfangen. Die Anfangssequenz von Once stellt eine Menge Fragen in den Raum und beantwortet keine davon. Stattdessen tut sie etwas, was sich wohl wenige Regisseure mit einer solch sicheren Hand und Eigenüberzeugung in dieser Sorte Film und auf dieser Skala getraut hätten: Über zehn Minuten hinweg nichts anderes, als Akzente zu setzen und zu demonstrieren, auf was für einen Film sich der Zuschauer für die nächsten 2 Stunden und 30 Minuten einstellen sollte. Der Moment, als zum ersten mal der schrille Ton der Mundharmonika erklingt, ist einer von unglaublich brilliantem Timing, geheimnissvoll und gleichzeitig vielsagend und daher so unglaublich aufregend, dass ich von dieser Minute voll und ganz an Bord war.
Und so lernen wie die Geschichte von Harmonika kennen, einem mysteriösen Fremden, der sich mit dem gleichnamigen Musikinstrument ankündigt, bevor man ihn selbst zu Gesicht bekommt. Seine Wege kreuzen sich mit Jill McBain, einer schönen Witwe, die das Land ihres ermordeten Ehemannes verkaufen möchte - ein Vorhaben, das einem weiteren Fremden, Frank, entgegen spielt, der eine andere Agenda verfolgt und dessen Vergangenheit untrennbar mit der von Harmonika verknüpft ist. Der vierte im Bunde ist Cheyenne, der sich mit Harmonika zusammen tut, der einen Beschützerinstinkt für Jill entwickelt und dessen Beteiligung die Geschehnisse des Films auf wichtige Art beeinflusst.
Macht- und Geldgier, Betrug und Verrat, schreckliche Gräueltaten und späte Rache - Once Upon a Time in the West behandelt eine Vielzahl an Emotionen, die allesamt mit der menschlichen Unvollkommenheit zusammenhängen. Alle vier Hauptcharktere des Ensembles bilden dabei unterschiedliche Aspekte des menschlichen Daseins ab und es ein Testament an das geniale Drehbuch, wie unabkömmlich jeder von den Vieren dafür ist, dass die Geschichte funktioniert. Kein Schritt, den das Drehbuch macht, führt einen auf eine falsche Fährte, kein Bild, das Sergio Leone einfängt, ist redundant. Die Besetzung ist durch die Bank hervorragend. Henry Fonda gibt die vielleicht beste schauspielerische Leistung seiner Karriere ab und Charles Bronsons Mimik und Gestik ist eine der besten charakterlichen Kreationen, die ich jemals in irgendeiner schauspielerischen Darbietung gesehen habe. Claudia Cardinale passt trotz ihrer makellosen Schönheit in diese Zeit, als hätte sie nie eine andere Rolle spielen sollen. Und Jason Robards durchlebtes Gesicht gibt dem Film eine menschliche Note, die neben all den anderen Charakteren mit ihren tief verwurzelten Dämonen absolut notwendig besetzt war. Der Film ist konstruiert und getaktet wie ein Uhrwerk und wirkt dabei zu keiner Minute mechanisch, falsch oder gekünstelt, denn die Charaktere wirken echt und menschlich und ihr Handeln vollkommen glaubwürdig. Das ist wichtig für den Erfolg des Films. Noch viel wichtiger ist es aber für seinen emotionalen Kern - über den ich hier nicht viel verraten möchte, denn er offenbart sich erst in den letzten zehn Minuten und lässt alles davor Geschehene in einem völlig neuen, Augen öffnenden Licht erscheinen.
Action und Schießerein gibt es zu Genüge, ja. Aber viel wichtiger als das ist der langsame, stetige Aufbau zur Gewalt - sich bildende Bedrohungen, das ständige hin- und hermanövrieren von Charakteren, ihrer Stellung in der Story und die Loyalität des Zuschauers zu ihnen. Das ständige Hinterfragen, wer denn jetzt der Gute und wer der Böse ist, wer welches Ziel und warum verfolgt. Roger Eberts großer Vorwurf an den Film, dass er zu lange aufbaue und seine Story erst in der zweiten Laufzeitstunde langsam erkennen ließe, ist in meinen Augen der größte Verdienst des Films: Die vielschichtige Story mit ihren komplexen und verzwickten Hintergründen und wie die Charaktere zueinander stehen, ist wie ein großes Mosaik konstruiert. Je länger man hinschaut, desto mehr Schichten werden einem deutlich, desto klarer werden einem die Motivationen der einzelnen Charaktere und dass keiner von ihnen ohne gute Gründe handelt. Und das macht das Ende des Films, den großen Twist, der aus einem der legendärsten Showdowns der Filmgeschichte geboren wurde, zu einer umso größeren Belohnung für mehr als zweieinhalb Stunden, die man als Zuschauer investiert hat. Das ist Regiekunst. Das ist Storytelling, das sich jeder Filmemacher zum Vorbild nehmen sollte. Und das ist der Grund, warum Once Upon a Time in the West einer der besten Filme aller Zeiten ist.
Ich möchte noch einen letzten, abschließenden Absatz Ennio Morricones Score widmen - einer meiner Allzeit-Liebsten Soundtracks, dem ich immer mal wieder lausche, manchmal einfach nur auf dem Sofa liegend und wenn ich was Schönes, was Episches für das Ohr brauche. Sicherlich können hier bessere Filmmusikexperten (looking at you, @goodspeed) mehr dazu sagen, aber ich behaupte jetzt einfach mal ins Blaue hinein, dass Morricone für Once vielleicht den esten (oder zumindest einen der ersten) Themen-Soundtracks geschrieben hat: Jeder der vier genannten Prota- bzw. Antagonisten hat eine eigene Erkennungsmelodie bekommen, die immer dann aufklingt, wenn er oder sie die Leinwand betritt. Die Themen gehen teilweise ineinander über, um auf diese Art fast schon eine eigene Geschichte zu erzählen, die funktioniert, ohne dass man den Film dazu sehen muss. Eine interessante Vorgehensweise, die bis dato keine Präzenz hatte, war, dass Morricone die Musik fertig gestellt hatte, bevor auch nur ein Frame des Films gedreht wurde. Leones Intention war es, dass die Schauspieler die Musik für ihren jeweiligen Charakter anhören konnten, um so ein Gefühl für die Szenen zu bekommen. Interessant ist das für mich deshalb, weil das den Film schon fast bühnenhaft wirken lässt - und das ist nicht als Diss gemeint, denn wie ich vorhin schon geschrieben habe, erzählt der Soundtrack seine eigene Geschichte. Gerade weil er so dominierend, so wiedererkennbar, so eindeutig ist, wundert es mich nicht, wie groß der Einfluss auf spätere Filmkomponisten war. Könnte der Lord of the Rings-Soundtrack heute so existieren, wie er es tut, wenn Morricone nicht getan hätte, was er hier geleistet hat?
Es tut irgendwie weh zu denken, dass ich nie wieder die Gelegenheit haben werde, den Maestro live zu sehen. Seine Leben und Wirken wird bestehen bleiben - zum Glück, denn die Welt wäre um einiges ärmer, ohne seine wunderschöne Musik. Sein Soundtrack zu Once Upon a Time in the West ist sein für mich bestes Werk. Was seine anderen Meisterwerke nicht schmälert - ich denke, jeder hat seinen eigenen Favoriten. Aber was wir hier haben, ist ein Soundtrack, der seinen dazugehörigen Film musikalisch nicht nur perfekt untermalt, sondern mit ihm harmoniert, als könnten die beiden Entitäten nicht getrennt voneinander existieren. Und gleichzeitig - und das ist für mich schlichtweg der beeindruckende Teil - hat der Score ein Eigenleben unabhängig von seinem Film und funktioniert als vollständiges Werk ganz für sich allein. Das macht ihn zu einem der - wenn nicht zu dem - besten Soundtrack aller Zeiten zu einem der besten Filme aller Zeiten. Ich ziehe meinen Hut vor allen Beteiligten. Aber in dieser Woche nach seinem Tod nochmal ganz besonders vor Ennio Morricone. Bravo.
- Once Upon a Time in the West
Spärliche Dialoge. Keine Einführung im eigentlichen Sinne. Aufnahmen von endloser Wüstenlandschaft. Schmutzige, zerknautschte und unattraktive Gesichter. Schweißperlen und lästige Fliegen. Keine musikalische Untermalung, nur Geräusche, die die Trägheit, die Hitze, die mieße Stimmung einfangen. Die Anfangssequenz von Once stellt eine Menge Fragen in den Raum und beantwortet keine davon. Stattdessen tut sie etwas, was sich wohl wenige Regisseure mit einer solch sicheren Hand und Eigenüberzeugung in dieser Sorte Film und auf dieser Skala getraut hätten: Über zehn Minuten hinweg nichts anderes, als Akzente zu setzen und zu demonstrieren, auf was für einen Film sich der Zuschauer für die nächsten 2 Stunden und 30 Minuten einstellen sollte. Der Moment, als zum ersten mal der schrille Ton der Mundharmonika erklingt, ist einer von unglaublich brilliantem Timing, geheimnissvoll und gleichzeitig vielsagend und daher so unglaublich aufregend, dass ich von dieser Minute voll und ganz an Bord war.
Und so lernen wie die Geschichte von Harmonika kennen, einem mysteriösen Fremden, der sich mit dem gleichnamigen Musikinstrument ankündigt, bevor man ihn selbst zu Gesicht bekommt. Seine Wege kreuzen sich mit Jill McBain, einer schönen Witwe, die das Land ihres ermordeten Ehemannes verkaufen möchte - ein Vorhaben, das einem weiteren Fremden, Frank, entgegen spielt, der eine andere Agenda verfolgt und dessen Vergangenheit untrennbar mit der von Harmonika verknüpft ist. Der vierte im Bunde ist Cheyenne, der sich mit Harmonika zusammen tut, der einen Beschützerinstinkt für Jill entwickelt und dessen Beteiligung die Geschehnisse des Films auf wichtige Art beeinflusst.
Macht- und Geldgier, Betrug und Verrat, schreckliche Gräueltaten und späte Rache - Once Upon a Time in the West behandelt eine Vielzahl an Emotionen, die allesamt mit der menschlichen Unvollkommenheit zusammenhängen. Alle vier Hauptcharktere des Ensembles bilden dabei unterschiedliche Aspekte des menschlichen Daseins ab und es ein Testament an das geniale Drehbuch, wie unabkömmlich jeder von den Vieren dafür ist, dass die Geschichte funktioniert. Kein Schritt, den das Drehbuch macht, führt einen auf eine falsche Fährte, kein Bild, das Sergio Leone einfängt, ist redundant. Die Besetzung ist durch die Bank hervorragend. Henry Fonda gibt die vielleicht beste schauspielerische Leistung seiner Karriere ab und Charles Bronsons Mimik und Gestik ist eine der besten charakterlichen Kreationen, die ich jemals in irgendeiner schauspielerischen Darbietung gesehen habe. Claudia Cardinale passt trotz ihrer makellosen Schönheit in diese Zeit, als hätte sie nie eine andere Rolle spielen sollen. Und Jason Robards durchlebtes Gesicht gibt dem Film eine menschliche Note, die neben all den anderen Charakteren mit ihren tief verwurzelten Dämonen absolut notwendig besetzt war. Der Film ist konstruiert und getaktet wie ein Uhrwerk und wirkt dabei zu keiner Minute mechanisch, falsch oder gekünstelt, denn die Charaktere wirken echt und menschlich und ihr Handeln vollkommen glaubwürdig. Das ist wichtig für den Erfolg des Films. Noch viel wichtiger ist es aber für seinen emotionalen Kern - über den ich hier nicht viel verraten möchte, denn er offenbart sich erst in den letzten zehn Minuten und lässt alles davor Geschehene in einem völlig neuen, Augen öffnenden Licht erscheinen.
Action und Schießerein gibt es zu Genüge, ja. Aber viel wichtiger als das ist der langsame, stetige Aufbau zur Gewalt - sich bildende Bedrohungen, das ständige hin- und hermanövrieren von Charakteren, ihrer Stellung in der Story und die Loyalität des Zuschauers zu ihnen. Das ständige Hinterfragen, wer denn jetzt der Gute und wer der Böse ist, wer welches Ziel und warum verfolgt. Roger Eberts großer Vorwurf an den Film, dass er zu lange aufbaue und seine Story erst in der zweiten Laufzeitstunde langsam erkennen ließe, ist in meinen Augen der größte Verdienst des Films: Die vielschichtige Story mit ihren komplexen und verzwickten Hintergründen und wie die Charaktere zueinander stehen, ist wie ein großes Mosaik konstruiert. Je länger man hinschaut, desto mehr Schichten werden einem deutlich, desto klarer werden einem die Motivationen der einzelnen Charaktere und dass keiner von ihnen ohne gute Gründe handelt. Und das macht das Ende des Films, den großen Twist, der aus einem der legendärsten Showdowns der Filmgeschichte geboren wurde, zu einer umso größeren Belohnung für mehr als zweieinhalb Stunden, die man als Zuschauer investiert hat. Das ist Regiekunst. Das ist Storytelling, das sich jeder Filmemacher zum Vorbild nehmen sollte. Und das ist der Grund, warum Once Upon a Time in the West einer der besten Filme aller Zeiten ist.
Ich möchte noch einen letzten, abschließenden Absatz Ennio Morricones Score widmen - einer meiner Allzeit-Liebsten Soundtracks, dem ich immer mal wieder lausche, manchmal einfach nur auf dem Sofa liegend und wenn ich was Schönes, was Episches für das Ohr brauche. Sicherlich können hier bessere Filmmusikexperten (looking at you, @goodspeed) mehr dazu sagen, aber ich behaupte jetzt einfach mal ins Blaue hinein, dass Morricone für Once vielleicht den esten (oder zumindest einen der ersten) Themen-Soundtracks geschrieben hat: Jeder der vier genannten Prota- bzw. Antagonisten hat eine eigene Erkennungsmelodie bekommen, die immer dann aufklingt, wenn er oder sie die Leinwand betritt. Die Themen gehen teilweise ineinander über, um auf diese Art fast schon eine eigene Geschichte zu erzählen, die funktioniert, ohne dass man den Film dazu sehen muss. Eine interessante Vorgehensweise, die bis dato keine Präzenz hatte, war, dass Morricone die Musik fertig gestellt hatte, bevor auch nur ein Frame des Films gedreht wurde. Leones Intention war es, dass die Schauspieler die Musik für ihren jeweiligen Charakter anhören konnten, um so ein Gefühl für die Szenen zu bekommen. Interessant ist das für mich deshalb, weil das den Film schon fast bühnenhaft wirken lässt - und das ist nicht als Diss gemeint, denn wie ich vorhin schon geschrieben habe, erzählt der Soundtrack seine eigene Geschichte. Gerade weil er so dominierend, so wiedererkennbar, so eindeutig ist, wundert es mich nicht, wie groß der Einfluss auf spätere Filmkomponisten war. Könnte der Lord of the Rings-Soundtrack heute so existieren, wie er es tut, wenn Morricone nicht getan hätte, was er hier geleistet hat?
Es tut irgendwie weh zu denken, dass ich nie wieder die Gelegenheit haben werde, den Maestro live zu sehen. Seine Leben und Wirken wird bestehen bleiben - zum Glück, denn die Welt wäre um einiges ärmer, ohne seine wunderschöne Musik. Sein Soundtrack zu Once Upon a Time in the West ist sein für mich bestes Werk. Was seine anderen Meisterwerke nicht schmälert - ich denke, jeder hat seinen eigenen Favoriten. Aber was wir hier haben, ist ein Soundtrack, der seinen dazugehörigen Film musikalisch nicht nur perfekt untermalt, sondern mit ihm harmoniert, als könnten die beiden Entitäten nicht getrennt voneinander existieren. Und gleichzeitig - und das ist für mich schlichtweg der beeindruckende Teil - hat der Score ein Eigenleben unabhängig von seinem Film und funktioniert als vollständiges Werk ganz für sich allein. Das macht ihn zu einem der - wenn nicht zu dem - besten Soundtrack aller Zeiten zu einem der besten Filme aller Zeiten. Ich ziehe meinen Hut vor allen Beteiligten. Aber in dieser Woche nach seinem Tod nochmal ganz besonders vor Ennio Morricone. Bravo.
"I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase
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