Spiel mir das Lied vom Tod

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    Es gibt 54 Antworten in diesem Thema. Der letzte Beitrag () ist von joerch.

      Die Bluray hatte ich mir wenige Tage vor dem Tode von Ennio Morricone zugelegt. Hat mir einerseits noch in der Sammlung gefehlt und andererseits hatte ich den schon so lange nicht mehr gesehen, dass es ohnehin mal wieder Zeit wurde für eine Neusichtung. Morricones Ableben hat mich dann motiviert, die Disc tatsächlich letzten Sonntag einzulegen.

      - Once Upon a Time in the West

      Spärliche Dialoge. Keine Einführung im eigentlichen Sinne. Aufnahmen von endloser Wüstenlandschaft. Schmutzige, zerknautschte und unattraktive Gesichter. Schweißperlen und lästige Fliegen. Keine musikalische Untermalung, nur Geräusche, die die Trägheit, die Hitze, die mieße Stimmung einfangen. Die Anfangssequenz von Once stellt eine Menge Fragen in den Raum und beantwortet keine davon. Stattdessen tut sie etwas, was sich wohl wenige Regisseure mit einer solch sicheren Hand und Eigenüberzeugung in dieser Sorte Film und auf dieser Skala getraut hätten: Über zehn Minuten hinweg nichts anderes, als Akzente zu setzen und zu demonstrieren, auf was für einen Film sich der Zuschauer für die nächsten 2 Stunden und 30 Minuten einstellen sollte. Der Moment, als zum ersten mal der schrille Ton der Mundharmonika erklingt, ist einer von unglaublich brilliantem Timing, geheimnissvoll und gleichzeitig vielsagend und daher so unglaublich aufregend, dass ich von dieser Minute voll und ganz an Bord war.

      Und so lernen wie die Geschichte von Harmonika kennen, einem mysteriösen Fremden, der sich mit dem gleichnamigen Musikinstrument ankündigt, bevor man ihn selbst zu Gesicht bekommt. Seine Wege kreuzen sich mit Jill McBain, einer schönen Witwe, die das Land ihres ermordeten Ehemannes verkaufen möchte - ein Vorhaben, das einem weiteren Fremden, Frank, entgegen spielt, der eine andere Agenda verfolgt und dessen Vergangenheit untrennbar mit der von Harmonika verknüpft ist. Der vierte im Bunde ist Cheyenne, der sich mit Harmonika zusammen tut, der einen Beschützerinstinkt für Jill entwickelt und dessen Beteiligung die Geschehnisse des Films auf wichtige Art beeinflusst.

      Macht- und Geldgier, Betrug und Verrat, schreckliche Gräueltaten und späte Rache - Once Upon a Time in the West behandelt eine Vielzahl an Emotionen, die allesamt mit der menschlichen Unvollkommenheit zusammenhängen. Alle vier Hauptcharktere des Ensembles bilden dabei unterschiedliche Aspekte des menschlichen Daseins ab und es ein Testament an das geniale Drehbuch, wie unabkömmlich jeder von den Vieren dafür ist, dass die Geschichte funktioniert. Kein Schritt, den das Drehbuch macht, führt einen auf eine falsche Fährte, kein Bild, das Sergio Leone einfängt, ist redundant. Die Besetzung ist durch die Bank hervorragend. Henry Fonda gibt die vielleicht beste schauspielerische Leistung seiner Karriere ab und Charles Bronsons Mimik und Gestik ist eine der besten charakterlichen Kreationen, die ich jemals in irgendeiner schauspielerischen Darbietung gesehen habe. Claudia Cardinale passt trotz ihrer makellosen Schönheit in diese Zeit, als hätte sie nie eine andere Rolle spielen sollen. Und Jason Robards durchlebtes Gesicht gibt dem Film eine menschliche Note, die neben all den anderen Charakteren mit ihren tief verwurzelten Dämonen absolut notwendig besetzt war. Der Film ist konstruiert und getaktet wie ein Uhrwerk und wirkt dabei zu keiner Minute mechanisch, falsch oder gekünstelt, denn die Charaktere wirken echt und menschlich und ihr Handeln vollkommen glaubwürdig. Das ist wichtig für den Erfolg des Films. Noch viel wichtiger ist es aber für seinen emotionalen Kern - über den ich hier nicht viel verraten möchte, denn er offenbart sich erst in den letzten zehn Minuten und lässt alles davor Geschehene in einem völlig neuen, Augen öffnenden Licht erscheinen.

      Action und Schießerein gibt es zu Genüge, ja. Aber viel wichtiger als das ist der langsame, stetige Aufbau zur Gewalt - sich bildende Bedrohungen, das ständige hin- und hermanövrieren von Charakteren, ihrer Stellung in der Story und die Loyalität des Zuschauers zu ihnen. Das ständige Hinterfragen, wer denn jetzt der Gute und wer der Böse ist, wer welches Ziel und warum verfolgt. Roger Eberts großer Vorwurf an den Film, dass er zu lange aufbaue und seine Story erst in der zweiten Laufzeitstunde langsam erkennen ließe, ist in meinen Augen der größte Verdienst des Films: Die vielschichtige Story mit ihren komplexen und verzwickten Hintergründen und wie die Charaktere zueinander stehen, ist wie ein großes Mosaik konstruiert. Je länger man hinschaut, desto mehr Schichten werden einem deutlich, desto klarer werden einem die Motivationen der einzelnen Charaktere und dass keiner von ihnen ohne gute Gründe handelt. Und das macht das Ende des Films, den großen Twist, der aus einem der legendärsten Showdowns der Filmgeschichte geboren wurde, zu einer umso größeren Belohnung für mehr als zweieinhalb Stunden, die man als Zuschauer investiert hat. Das ist Regiekunst. Das ist Storytelling, das sich jeder Filmemacher zum Vorbild nehmen sollte. Und das ist der Grund, warum Once Upon a Time in the West einer der besten Filme aller Zeiten ist.

      Ich möchte noch einen letzten, abschließenden Absatz Ennio Morricones Score widmen - einer meiner Allzeit-Liebsten Soundtracks, dem ich immer mal wieder lausche, manchmal einfach nur auf dem Sofa liegend und wenn ich was Schönes, was Episches für das Ohr brauche. Sicherlich können hier bessere Filmmusikexperten (looking at you, @goodspeed) mehr dazu sagen, aber ich behaupte jetzt einfach mal ins Blaue hinein, dass Morricone für Once vielleicht den esten (oder zumindest einen der ersten) Themen-Soundtracks geschrieben hat: Jeder der vier genannten Prota- bzw. Antagonisten hat eine eigene Erkennungsmelodie bekommen, die immer dann aufklingt, wenn er oder sie die Leinwand betritt. Die Themen gehen teilweise ineinander über, um auf diese Art fast schon eine eigene Geschichte zu erzählen, die funktioniert, ohne dass man den Film dazu sehen muss. Eine interessante Vorgehensweise, die bis dato keine Präzenz hatte, war, dass Morricone die Musik fertig gestellt hatte, bevor auch nur ein Frame des Films gedreht wurde. Leones Intention war es, dass die Schauspieler die Musik für ihren jeweiligen Charakter anhören konnten, um so ein Gefühl für die Szenen zu bekommen. Interessant ist das für mich deshalb, weil das den Film schon fast bühnenhaft wirken lässt - und das ist nicht als Diss gemeint, denn wie ich vorhin schon geschrieben habe, erzählt der Soundtrack seine eigene Geschichte. Gerade weil er so dominierend, so wiedererkennbar, so eindeutig ist, wundert es mich nicht, wie groß der Einfluss auf spätere Filmkomponisten war. Könnte der Lord of the Rings-Soundtrack heute so existieren, wie er es tut, wenn Morricone nicht getan hätte, was er hier geleistet hat?

      Es tut irgendwie weh zu denken, dass ich nie wieder die Gelegenheit haben werde, den Maestro live zu sehen. Seine Leben und Wirken wird bestehen bleiben - zum Glück, denn die Welt wäre um einiges ärmer, ohne seine wunderschöne Musik. Sein Soundtrack zu Once Upon a Time in the West ist sein für mich bestes Werk. Was seine anderen Meisterwerke nicht schmälert - ich denke, jeder hat seinen eigenen Favoriten. Aber was wir hier haben, ist ein Soundtrack, der seinen dazugehörigen Film musikalisch nicht nur perfekt untermalt, sondern mit ihm harmoniert, als könnten die beiden Entitäten nicht getrennt voneinander existieren. Und gleichzeitig - und das ist für mich schlichtweg der beeindruckende Teil - hat der Score ein Eigenleben unabhängig von seinem Film und funktioniert als vollständiges Werk ganz für sich allein. Das macht ihn zu einem der - wenn nicht zu dem - besten Soundtrack aller Zeiten zu einem der besten Filme aller Zeiten. Ich ziehe meinen Hut vor allen Beteiligten. Aber in dieser Woche nach seinem Tod nochmal ganz besonders vor Ennio Morricone. Bravo.
      "I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von „Data“ ()

      Toll @Data wegen dir muss ich den jetzt wieder gucken....
      Ich guck den aber immer nur im Heimkino.... Das ist im Moment unaufgeräumt, weil ich im Herbst was dran machen wollte und dann übrigens den Film auch endlich mal in BD umstellen wollte (Hab die Holzbox damals als DVD 2 mal gekauft....)
      Das muss ich jetzt halt alles vorziehen... Vielen Dank auch :uglylol:

      PS: Geile Kritik
      Ich darf leider nicht zu sehr ins Detail gehen....

      Aber das ist meine Signatur....

      joerch schrieb:

      Toll @Data wegen dir muss ich den jetzt wieder gucken....
      Ich guck den aber immer nur im Heimkino.... Das ist im Moment unaufgeräumt, weil ich im Herbst was dran machen wollte und dann übrigens den Film auch endlich mal in BD umstellen wollte (Hab die Holzbox damals als DVD 2 mal gekauft....)
      Das muss ich jetzt halt alles vorziehen... Vielen Dank auch :uglylol:

      PS: Geile Kritik


      Äh.. bitteschön? :uglylol:

      Also wenn dich das motiviert, deinen Saustall aufzuräumen und den Film mal wieder einzulegen, dann entschuldige ich mich hier für gar nix. :uglylol:

      P.S.: Die Holzbox mit dem Digipack und der Mundharmonika ist total geil gemacht. Hatte sich mein Dad vor Jaaahren mal gekauft und finde die nach wie vor eine der schönsten Sammlereditionen. Nicht zu viel schnickschnack, sondern schlicht und elegant.
      "I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase
      Ein Stück Filmgeschichte läuft morgen um 22:15 Uhr im NDR!

      Natürlich Uncut (*), in HD und ohne Werbung - alles andere würde dem Klassiker ja auch nicht gerecht werden.

      (*) Die ARD-Sender strahlen die internationale Fassung aus, der ca. 11 Minuten längere DC wird nicht gezeigt. Diese längere Schnittfassung lief bisher nur auf Kabel 1 & PRO 7. Auch auf einem physischen Medium ist er noch nicht erschienen, jedenfalls nicht bei uns.

      Quelle: tvheute.at/ndr-programm/sendun…ed-vom-tod-film_-98123670
      "Man geht schon ein Risiko ein, wenn man morgens aufsteht, über die Straße geht und sein Gesicht in einen Ventilator steckt!"
      Ein toller Western. Kann gar nicht soviel schreiben, aber schon der Anfang ist cool, wie
      Spoiler anzeigen
      sie auf den Zug warten
      und dann die Schußwechesel. Hat sehr gute Darsteller. (Z.B Charles Bronson, Henry Fonda ). Auch stark ist immer wenn
      Spoiler anzeigen
      die Mundharmonika gespielt wird
      oder natürlich die Musik von Ennio Morricone. Trotz seines Alters ist der Film immer noch top. :goodwork:

      9 oder 10 von 10 Punkten

      (Bin einfach momentan im Western-Fieber. :] )

      Leones barocke Pferdeoper läuft heute um 20:15 Uhr im BR!

      Natürlich Uncut (*), in HD und ohne Werbung - alles andere würde dem Klassiker ja auch nicht gerecht werden.

      (*) Die ARD-Sender strahlen die internationale Fassung aus, der ca. 11 Minuten längere DC wird nicht gezeigt. Diese längere Schnittfassung lief bisher nur auf Kabel 1 & PRO 7. Auch auf einem physischen Medium ist er noch nicht erschienen, jedenfalls nicht bei uns.

      Quelle: br.de/br-fernsehen/programmkal…ausstrahlung-3080314.html

      Die ganz großen Anhänger haben vermutlich tatsächlich die italienische DVD vom Label CVC geholt, um in den Genuss des sog. Director's Cut zu kommen, aber er soll kaum der Rede wert sein. Lange Szenen werden nochmals leicht verlängert, es gibt Alternativ-Einstellungen. Hier übrigens der Schnittbericht. Man hat jetzt nicht unbedingt das Gefühl etwas verpasst zu haben. Allerdings ist es längst an der Zeit dem unvergesslichen Meisterwerk eine richtig schöne Edition zu spendieren. Ein dickes Booklet von einem Filmwissenschaftler und und und. Für solche Filme gibt man schließlich noch Geld aus.
      "Man geht schon ein Risiko ein, wenn man morgens aufsteht, über die Straße geht und sein Gesicht in einen Ventilator steckt!"

      Dr. Loomis schrieb:

      Bei Sky Documentaries gibt es ne Sergio Leone-Dokumentation Sergio Leone: The Italian Who Invented America. Läuft z.B. heute um 23:05 Uhr.
      Werde mal reinsehen, interessiert mich.

      Hier:
      wunschliste.de/spielfilm/sergio-leone


      Ich hab mir die Angeschaut - wobei der Film hier recht wenig Raum im Ganzen einnimmt.
      DIe Doku ist super, zumal viele andere Regisseure (Spielberg, Coppola, Tarantino usw.) ebenso wie Darsteller (Eastwood, Eli Wallach, DeNiro, usw.) zu Wort kommen.
      Ich darf leider nicht zu sehr ins Detail gehen....

      Aber das ist meine Signatur....
      Die deutsche UHD erscheint am 23. Mai 2024 als Limited Collector's Edition!

      Scheinbar im Amaray Case, inklusive Kino- und restaurierter Filmfassung.

      Quelle: bluray-disc.de/blu-ray-filme/1…4k_uhd_bluray?features#ca
      "Man geht schon ein Risiko ein, wenn man morgens aufsteht, über die Straße geht und sein Gesicht in einen Ventilator steckt!"
      Sehr schön. Wobei ich wahrscheinlich wieder warten werde, bis der Preis gefallen ist. 40 EUR ist dann schon happig für eine Amaray.

      Ich lese da übrigens nichts von Limited ...
      "I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase
      Die Version könnte mir gefallen.
      Der Film schreit ja geradezu nach einer guten 4K-Umsetzung....
      Noch besser hätte mir gefallen, wenn Sie einfach noch mal die Holzbox gemacht hätten :) Dann hätte ich meine DVD-Variante dafür verkauft...
      Ich darf leider nicht zu sehr ins Detail gehen....

      Aber das ist meine Signatur....