Blue Velvet (David Lynch)

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    Es gibt 13 Antworten in diesem Thema. Der letzte Beitrag () ist von Bavarian.

      Blue Velvet (David Lynch)

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      Blue Velvet








      Regie: David Lynch

      Produzent: Fred C. Caruso

      Drehbuch: David Lynch

      Musik: Ketty Lester, Isabella Rossellini, Angelo Badalamenti

      Land: USA

      Jahr: 1986

      Länge: 116 Min.



      Schauspieler:


      Kyle MacLachlan

      Laura Dern

      Isabella Rossellini

      Dennis Hopper

      Hope Lange

      Dean Stockwell

      Brad Dourif

      Jack Nance

      Frances Bay



      Story


      Ein abgeschnittenes Ohr zu finden, kann einen Menschen schon neugierig machen. Als der Collegestudent
      Jeffrey Beaumont Nachforschungen anstellt, gerät er immer tiefer in die Welt der rätselhaften Nachtclubsängerin Dorothy und
      des drogensüchtigen Sadisten Frank.






      Fazit


      Bisher habe ich nicht viele Filme von Lynch gesehen, wenn ich jedoch nach dem Großteil der Filmfans gehe, so liegen die Meisterwerke noch vor mir ( Mulholland Drive, Lost Highway ). Und ich bin gewillt den Leuten zu glauben, denn Blue Velvet ist alles andere als perfekt.

      Der Film ist ein Wechselbad der Gefühle. Mal staunte ich wirklich wegen dem was ich dort auf dem Bildschirm sah, aber mindestens genauso oft konnte ich einfach nur den Kopf schütteln ob einer weiteren total unlogischen Szene. Aber der Reihe nach.

      Das die Filme von Lynch meistens sehr viele Interpretationen zulassen ist mir bewusst. So konnte man auch in Blue Velvet manchesmal seine eigenen Vermutungen anstellen, was mit dieser oder jener Kameraeinstellung gemeint sein sollte.
      Spoiler anzeigen
      Ein Beispiel wäre an dem Abend als Kyle Laura zum ersten mal begegnet und beide die Straße entlang gehen. Dabei sieht man auf der rechten Seite einen dicklichen Mann stehen, welcher einen kleinen Hund an der Leine hält. Die Kamera verharrt für einen ganz kurzen Moment auf diesem Charakter und schwenkt dann wieder zu den beiden Personen die auf dem Gehweg vorbeigehen. Mir ist aber schon dort aufgefallen das der Mann quasi falsch steht. Er steht auf einer Rasenfläche und der Hund auf dem Gehweg. Eigentlich müsste es ja andersherum sein.
      :gruebel: ;)

      Jetzt aber zum eigentlichen Film. Die Schauspieler spielen bis auf wenige Ausnahmen solide. Laura Dern kann man keinen Vorwurf machen. Auch Isabella Rossellini als Sängerin macht einen ordentlichen Eindruck. Doch wo es Licht gibt ( Hopper ), gibt es meist auch Schatten ( Kyle MacLachlan ). Dieser spielt bis auf wenige Ausreisser so emotionslos das man ihm am liebsten zurufen möchte, es doch einfach mal mit mehr Mimik zu versuchen. Ich will mir da jetzt nicht zu sehr ein Urteil erlauben, aber das war in meinen Augen eine klassische Fehlbesetzung. Und dann gab es, wie oben schon erwähnt, Szenen die jeder Logik wiedersprachen
      Spoiler anzeigen
      Als der Hauptcharakter im Fahrzeug auf eine Tour mitgenommen wird und die Gruppe auf einem Feld anhält, will sich Hopper erneut vor den Augen von MacLachlan an Rossellini vergehen. Das MacLachlan dann Hopper anschreit ( wow, ein Gefühlsregung ) er solle es unterlassen und ihm dann zur Krönung noch eine reinhaut ist völlig aus der Luft gegriffen. Niemand, wirklich niemand würde sich etwas deratiges in dieser Lage trauen, wenn ihm auch nur ein Stück an seinem Leben liegt.


      Das positive an dem Film kann man an zwei Punkten festmachen. Der erste ist defintiv der Soundtrack mit einem sehr schönen Blue Velvet als Theme. Der zweite Punkt betrifft Dennis Hopper. Selten hatte ich in letzter Zeit so ein beängstigendes Gefühl bei einem Charakter. Er spielt sich wahrhaftig die Seele aus dem Leib. Man nimmt ihm die Figur in jeder Sekunde ab und so ist es auch nicht verwunderlich das die Szenen in denen Hopper auftritt zu den besten des gesamten Films gehören. Diese zwei Sachen retten das Werk vor dem Durchschnitt.


      08/10

      Noch keine Antwort zu diesem klasse Film? Gebe dem werten Herrn Threaderöffner in vielen Punkten recht.

      Ist glaube ich mittlerweile meine 4. Sichtung gewesen heute und der Film reißt immer noch ungemein mit und baut eine Atmosphäre auf, die ihresgleichen sucht. Das tolle an Lynch-Filmen ist einfach, dass man mit jedem Male noch etwas neues entdecken kann, bzw. erneut eine neue Interpretationsmöglichkeit für sich definieren kann. Ein Werk, dass absolut überladen ist mit (teilweise versteckter) Symbolik und sich an vielen Einflüssen bedient. Vom Thriller, bis hin zum Charakter-Drama, die gewisse Portion Mystery, gepaart mit einer Romanze...und auch der Film noir-Einfluss ist zu zu erkennen. Zudem auch immer interessant, mit welchen Elementen Lynch arbeitet, die er erst in kommenden Werken konkreter wurden, wie z.B. die Asphalt-Ansicht auf der "Tour", die später "Lost Highway" prägte oder die roten Vorhänge, die später eine der vielen, kultigen Elemente von "Twin Peaks" wurden. Und gerade im Anfangsteil kommt musikalisch der spätere Twin Peaks-Stil zum Vorschein, da auch hier Angelo Badalamenti für diesen Part zuständig war. Ansonsten ist zu sagen: Extreme Charaktere, dargestellt von starken Schauspielern, in Kombination mit einer surrealen und skurrilen Inszenierung. Herrlich, immer wieder sehenswert.






      Die Tage mal wieder gesehen. Blue Velvet bleibt ein "richtig guter" Lynch. Zwar zähle ich das Werk nicht zu den Highlights seiner Filmografie, da es womöglich nicht ganz so fesselt, wie es ein "Lost Highway" tut, nicht ganz so geheimnsvoll daherkommt wie ein "Mulholland Drive" und auf surrealer Ebene viel harmloser ist, als der Mindfuck "Inland Empire" - und doch ist es ein klassischer Lynch, der vollends überzeugt. Die bizarre und verstörende Welt, die sich in einer scheinbar harmonischen und heilen Welt verbirgt und die Neugier nach den skandalösen und verruchten Facetten der Gesellschaft, sehr gelungen inszeniert. "I don't know if you're a detective or a pervert."






      Im Zuge meiner Pile of Shame-Offensive habe ich mich auch endlich mal an meine ungesehenen Lynch Blu-rays rangetraut. Den gelungenen Auftakt durfte Blue Velvet machen. Über mir wurde ja schon viel von unserem Lynch-Experten geschrieben. Ein außergewöhnlicher Genremix, der mich ab und zu durchaus an Twin Peaks erinnerte (und das lag nicht an MacLachlan). In Sachen Weirdness hält Lynch sich hier noch relativ zurück, da erwarte ich von Mulholland Drive und Lost Highway noch ne ganz andere Hausnummer. Habe jedenfalls das Gefühl, dass Blue Velvet mit weiteren Sichtungen noch weiter wachsen wird. Immer schön, wenn ich nach einer Erstsichtung schon weiß, dass weitere folgen werden.

      7,5/10

      Vaginas mit Zähnen. Eine engelsgleich Laura Dern. Voyeurismus. Fucking Fucker. Und ganz viel Sigmund Freud.

      Blue Velvet zählte nie zu meinen Lieblingen von Lynch und doch schaue ich mir das Werk liebend gerne alle paar Jahre wieder an. Aus zunächst jugendlicher Neugier, entwickelt sich ein düsterer Albtraum. Lynch lässt den Protagonisten hier auf eine intensive Entdeckungsreise des Psychosexuellen gehen, verwoben in einem stimmigen Genre-Potpourri aus Noir-Thrill, Mystery-Drama und Coming of Age.

      Die Story widmet sich dem Sexuell-Unterbewussten, der Sensationsgier und spricht damit den Zuschauer mehr als nur deutlich persönlich an. Die bereits fein schauspielenden, aber noch etwas ungeschliffenen MacLachlan und Dern zu sehen, machte äußerst Spaß und Dennis Hopper als gestörter, cholerischer und unberechenbarer Antagonist, liefert hier eine beeindruckende Performane ab.

      Blue Velvet fühlt sich mit seiner ganzen Symbolik fast schon ein bisschen wie ein Warm-Up zu Twin Peaks an. Die Badalementi-Töne, der Gesang, die roten Vorhänge uvm. Vieles, was in der Serie später Einzug finden wird. Grundsätzlich trieft Blue Velvet nur so vor Symbolik und Metaphern und man kommt kaum hinterher. Das Werk funktioniert als elektrisierende und abgründige Unterhaltung sowie als tiefgehendes, zu interpretierendes Kunstwerk.

      Blue Velvet haut mich zwar nie dermaßen um, wie es einigen anderen Filmen des Regisseurs gelingt und doch ist er Lynch in Reinform und immer wieder eine Erfahrung wert.






      Mit Eraserhead schuf Lynch seinen spirituellen, surrealen und auch inhaltlichen Kompass. Mit The Elephant Man bewies er eine kohärente Dramaturgie, die ihn in Oscar-Sphären beförderte. Und mit Dune lernte er, welche Filme er künftig nicht mehr machen will. Und unter welchen Umständen sein künstlerisches Talent nicht funktionieren kann. Das alles führte irgendwie zu Blue Velvet. Und der Film fühlt sich gänzlich richtig an. Als wollte Lynch genau hier hin. Das alles war zwar wieder mit gewissen Einbußen verbunden (unsicheres Projekt, wenig Gage, bei der Crew kreativ werden, Spontanität), doch dieser vermeintliche Schritt zurück war für Lynch genau der in die richtige Richtung.

      Wie ich im Beitrag über mir sehe, ist meine letzte Sichtung erst zwei Jahre her. Kommt mir länger vor. Doch meine Sichtweise bleibt ähnlich.

      Die perfekte Schweinwelt. Und die Abgründe, die unter und hinter ihr lauern. Wir dringen symbolisch immer wieder in diese Parallel-Welt ein. Sei es durch eine surreale Scheinsequenz zu Beginn, in der alles viel zu harmonisch ist. Durch einen Zoom in das ach so grüne Gras, unter dem ein bedrohlich wirkendes Insekten-Universum herrscht. Oder die Kamerafahrt in und durch ein abgetrenntes Ohr, ab der sich alles für unsere Hauptfigur verändert. Lynch berichtet in einem Interview von einer Situation aus seiner Kindheit, in der eine nackte, verwirrte Frau die Straße entlang ging, gleich neben dem behütetem Heim, in einem sicheren Viertel, in dem Lynch und seine Familie damals lebte. Nicht nur, dass diese Szene absolut konkret in Blue Velvet aufgegriffen wird, nein, diese Erinnerung steht auch für eine große Symbolik, die Lynch´s gesamtes Schaffen überschattet. Der Schrecken, der hinter dem Wohligen lauert. Der dunkle Doppelgänger der perfekten Familie, des All-American-Girls und des American Dreams. Wie Licht und Schatten koexistieren.

      Kyle MacLachlan, der hier grandios aufspielt, gibt einen neugierigen Voyeuristen zum Besten, der zunächst unschuldig aussehen mag, es aber keinesfalls ist. Eine Coming-of-Age-Story eines Jungen, der zum Mann werden will und muss, weil sein Vater einen Unfall hatte. Und sich dabei in einer voyeuristischen Odyssee verliert, die sich mit zahlreichen psychosexuellen Themen beschäftigt. Und dabei zeitgleich über unseren Durst nach Sensation und Thrill debattiert. Während seine Mutter und die Tante nur Krimifilme im TV sehen, will Jeffrey Beaumont deutlich mehr. Sehr interessant dargestellt werden zudem Jeffreys Beziehungen zu den drei Vaterfiguren im Film, die eine riesige Existenzangst zeichnen.

      In Blue Velvet lässt sich eine Art Pre-Twin Peaks erkennen. Thematisch wie atmosphärisch. Spätestens, wenn dann ein jazziger Score läuft, die Kamera auf ein Diner oder einen Nachtclub hält und ein Laster, beladen mit Holzstämmen, durch die Kamera rauscht, sind die gewissen Vibes da. Und würde man die Figuren von Laura Dern und Isabella Rossellini fusionieren, käme mehr oder weniger Laura Palmer dabei heraus.

      Und auch Lynch´s Lieblingsfilm, The Wizard of Oz, erhält mehr als deutlich Einzug. In subtileren Zügen (pustender Wind, die gelben Fahrstreifen auf der Straße = Yellow Brick Road, eine LipSync-Musical-Einlage, die Somewhere over the Rainbow-artige Piano-Interpretation des Liedes Blue Velvet usw.) oder aber sehr konkret: Die Geschichte über eine Sängerin, die ein düsteres und qualvolles Leben lebt. Die Dorothy heißt. Das kann schon gar nicht mehr nur metaphorisch gesehen werden, sondern ist schon fast eine konkrete Aufarbeitung des Lebens von Judy Garland, die Dorothy Gale im Jahre 1939 spielte. Und im Kontrast zu ihrer lieblichen Rolle ein sehr düsteres Leben lebte.

      Der Film beherbergt etwas sehr Bedrohliches und Verstörendes. Das mag einerseits an Lynch´s bemerkenswerter Inszenierung liegen, aber auch an einer exzellenten Darstellung von Dennis Hopper. Wow. Absolut beeindruckend, wie er diesen schwer gestörten und zerstreuten Choleriker voller Komplexe interpretiert und darbietet. Das geht ins Mark. Auch hier erkenne ich eine Vorform von Twin Peaks´ "Bob". Seine Berater rieten Hopper, die Rolle nicht zu spielen - so solle er doch nach seinem Suchtentzug positive Rollen annehmen, um seine Reputation zu verbessern - doch Hopper ließ sich das nicht nehmen, weil er von Lynch überzeugt war. Und ich denke, wir können alle sehr froh über diese Entscheidung sein. Dazu das im Filmbusiness noch eher unerfahrene Modell Isabella Rossellini, die hier mit ihrer Figur eine Erotik zeigt, die zwar sinnlich, aber zeitgleich hässlich und verletzlich sein kann. Ganz stark. MacLachlan und Laura Dern sind sowieso ein Dream Team. Ein perfektes Casting.

      Und eigentlich gibt es in jeder Szene etwas zu entdecken. Voyeuristische Perspektiven (der Blick durch den Türrahmen eines Badezimmers), Traumsymbolik, kitschige Szenen, die den Albtraum durch Widersprüchlichkeiten befeuern oder ein vorzügliches Sound Design. Bei Lynch gibt es keinen Stillstand. Wenn nicht gerade konkrete Emotionen gezeigt werden, erzählt uns stets das Audiovisuelle sehr viel.

      Die Deleted Scenes verraten, dass der Film noch skurriler und sperriger hätte werden können. Mit mehr Geduldserfordernissen. Was per se nichts schlechtes ist. Aber Blue Velvet ist viel zu ausbalanciert, um daran etwas ändern zu müssen. Aber da musste man sich keine Sorgen machen, wenn der Meister selbst den Final Cut macht.

      Mir gefällte eine Passage sehr:

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      Als der gekidnappte Jeffrey zusammen mit Frank in der skurrilen Wohnung von Ben (dargestellt von Dean Stockwell) ankommt. Hier nimmt die Surrealität die konkretesten Züge an. Die Musical-Einlage, die korpulenten Frauen, die absonderliche Puppe, die gesamte Stimmung. Eine Art Portal, das den Protagonisten endgültig in eine andere Welt hineinzieht. Aus einer neugierigen Fantasie erwächst eine düstere Realität.


      Ebenso der erste gemeinsame Spaziergang von Jeffrey und Sandy ist wunderbar inszeniert. Es könnte eine normale Szene aus einem College-Film sein, bei dem der Junge das Mädchen umgarnt. Doch in Blue Velvet findet dieser Spaziergang bei Nacht statt, zu verwunschener Musik. Eine stimmige Kombination aus Coming-of-Age und Film Noir.

      Und auch das Ende könnte perfekter nicht sein.

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      Man kann diese kitschige Happy-End-Sequenz wohl auf zwei Weisen interpretieren.

      Die Realität, in der sich alle wieder zum perfekten Schein zwingen. Die oberflächliche Fassade aufrecht erhalten. Alles ist gut. Doch das Rotkehlchen mit dem Käfer im Schnabel deutet an, dass dem nicht so ist. Der hässliche Riesenkäfer, der unter der perfekt-grünen Wiese schlummert und hochgeholt wird. Dieser kleine Wink, der alles ins Wackeln bringt.

      Oder aber, es handelt sich hier um eine reine Traumvision von Sandy, die bereits zuvor von einem Traum berichtet, in dem ein Rotkehlchen Glück und Zufriedenheit bringt. Und das auch hier gezeigt wird. Vielleicht ist es ein wahrhaftiges Bad Ending. Und die Dinge sind für Jeffrey nicht so gut ausgegangen, wie gezeigt.


      Ein großartiger Film.

      In meinen Augen ein sehr geeignetes Werk für interessierte Neulinge, die einen ersten Schritt in das Lynch-Universum machen wollen.






      Dieser Beitrag wurde bereits 4 mal editiert, zuletzt von „Bavarian“ ()

      Bevor jemand fragt: Jap, ich unterhalte mich hier sehr gerne mit mir selbst. ^^

      Der gesamte Film, aber insbesondere die Performance von Dennis Hopper als schwer gestörter Frank Booth hallen weiterhin stark nach bei mir.

      Für mich nicht weniger als eine der eindrucksvollsten und bedrohlichsten "Bösewichte" der Filmgeschichte. Die zunächst unberechenbar wirkenden emotionalen Ausbrüche scheinen auf den zweiten Blick einer inneren Logik zu unterliegen. Wann die Emotionen hochkochen, welche Impulse gezeigt werden und vor allem welche Musik diese Szenen begleitet, ergeben innerhalb des Wahnsinns eine absolute Stringenz.

      Die Figur ist sehr wechselhaft. Radikales Ausüben von Macht, Erniedrigung anderer und gewaltvolle/sexuelle Übergriffe am laufenden Band. Doch in den Momenten dazwischen offenbart die Figur ein Komplettpaket an Komplexen und Traumata. Vaterkomplexe, Mutterkomplexe, körperdysmorphe Störungen, Angststörungen - und S. Freud würde definitiv von Kastrationsangst sprechen. Ich denke, das macht Frank Booth derart schockierend. Er offenbart innerhalb seiner Gewalt- und Rauschexzesse all seine Schwächen wie ein offenes Buch. Nicht selten sind es im Film Momente der späten Offenbarung, die einen Antagonisten plötzlich irgendwie doch nahbar und im Rahmen der Möglichkeiten nachvollziehbar handelnd erscheinen lassen. Doch in dem Falle nährt sich alles voneinander und resultiert in einer noch größeren Bosheit. Wir sehen seine Schwächen. Wir können uns ausmalen, was ihm als Kind widerfahren sein muss. Doch diese Erkenntnisse verändern oder beschwichtigen nichts. Die rohe Gewalt ist da. Basta. Ein Mann, der lieben will, es aber nur in Form von exzessiver, unbändiger Gewalt ausdrücken kann.

      "I'll send you a love letter! Straight from my heart, f***er! You know what a love letter is? It's a bullet from a f***ing gun, f***er!"






      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von „Bavarian“ ()

      Bavarian schrieb:

      Bevor jemand fragt: Jap, ich unterhalte mich hier sehr gerne mit mir selbst. ^^

      Zumindest habe ich schon die Motivation, die Filme auch zu gucken. Ich weiß dass ich einmal (vor über 20 Jahren) auf einem Kanal nachts auf blue velvet hängen geblieben bin. Aber ich erinnere mich an keinen einzigen Satz... Also bis ich den noch einmal gucke, kann ich leider nicht in die Konversation zwischen dir einsteigen :D
      Every life comes with a death sentence.

      Kiddo schrieb:

      Bavarian schrieb:

      Bevor jemand fragt: Jap, ich unterhalte mich hier sehr gerne mit mir selbst. ^^

      Zumindest habe ich schon die Motivation, die Filme auch zu gucken. Ich weiß dass ich einmal (vor über 20 Jahren) auf einem Kanal nachts auf blue velvet hängen geblieben bin. Aber ich erinnere mich an keinen einzigen Satz... Also bis ich den noch einmal gucke, kann ich leider nicht in die Konversation zwischen dir einsteigen :D


      Alles gut, ich bin schon dafür dankbar, dass hier mal wer anderes zwischendurch schreibt. Job done. :thumbup:






      Sehr lesenswerte, einblickreiche und gedankenvolle Kritik, die Erinnerungen an einen Film hervorbringen, den ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Bei mir dürfte das noch während Studienzeiten gewesen sein - und das ist mehr als fünf Jahre her. Aber die Bilder (die Eröffnungssequenz; die Käfer; das Ohr; Isabella Rosselini; die Sequenz im Schlafzimmer) und der Soundtrack leben noch immer aktiv vor meinen Augen. Und auch wenn es einer dieser Lynch-Streifen ist, die mich emotional eher kalt gelassen haben, würde ich ihn rein künstlerisch im oberen Drittel seines Schaffens ansiedeln.

      Bavarian schrieb:

      Bevor jemand fragt: Jap, ich unterhalte mich hier sehr gerne mit mir selbst. ^^


      Ja, eigentlich ein bisschen ein Argumtszeugnis des Forums, eine solch detaillierte Analyse vom Gesamtwerk eines einzigen Filmemachers so weitestgehend unkommentiert zu lassen. Ich kann leider dieses Mal auch gar nicht so viel zur Diskussion beitragen, dazu habe ich den Film zu selten gesehen - und das liegt, wie gesagt, auch schon zu lange zurück. Aber das hier...

      Bavarian schrieb:

      Die perfekte Schweinwelt. Und die Abgründe, die unter und hinter ihr lauern. Wir dringen symbolisch immer wieder in diese Parallel-Welt ein. Sei es durch eine surreale Scheinsequenz zu Beginn, in der alles viel zu harmonisch ist. Durch einen Zoom in das ach so grüne Gras, unter dem ein bedrohlich wirkendes Insekten-Universum herrscht. Oder die Kamerafahrt in und durch ein abgetrenntes Ohr, ab der sich alles für unsere Hauptfigur verändert. Lynch berichtet in einem Interview von einer Situation aus seiner Kindheit, in der eine nackte, verwirrte Frau die Straße entlang ging, gleich neben dem behütetem Heim, in einem sicheren Viertel, in dem Lynch und seine Familie damals lebte. Nicht nur, dass diese Szene absolut konkret in Blue Velvet aufgegriffen wird, nein, diese Erinnerung steht auch für eine große Symbolik, die Lynch´s gesamtes Schaffen überschattet. Der Schrecken, der hinter dem Wohligen lauert. Der dunkle Doppelgänger der perfekten Familie, des All-American-Girls und des American Dreams. Wie Licht und Schatten koexistieren.


      ... ist genau der Eindruck, den ich von Blue Velvet noch habe. Der Horror, der hinter dem scheinbar heilvollen amerikanischen Vorort schlummert. Wo viel Schein ist - und fast nichts echt - hinter den man blicken muss, um den Schmutz und die Verwesung und die Fäule zu sehen. Ein Thema, das er mit Twin Peaks - vor allem mit Fire Walk With Me - dann zum Gipfel treiben wird - und zu welchem er mit Blue Velvet erste Andeutungen gibt, wohin es ihn thematisch mal verschlagen sollte. Da sehe ich, was wirklich in ihm vorgeht - da kommen Ängste und Sorgen und Erinnerungen aus dem Regisseur heraus, die ich oftmals viel interessanter finde als seine Merkwürdigkeiten und Idiosynkratien, die Filme wie z.B. Inland Empire dominieren, den ich deswegen - gepaart mit der monströsen Laufzeit - dann fast schon unausstehlich finde.
      "I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase

      Data schrieb:

      Aber die Bilder (die Eröffnungssequenz; die Käfer; das Ohr; Isabella Rosselini; die Sequenz im Schlafzimmer) und der Soundtrack leben noch immer aktiv vor meinen Augen.


      Wunderbar. Und das zeichnet einen Lynch u. a. aus. Die Sogwirkung und ein damit einhergehendes Gefühl für die Bilder und Stimmungen, die bewahrt bleiben. So charakteristisch und charismatisch. Der Eintritt in eine Welt, die nicht nur da rein und dort raus geht, sondern irgendwo gespeichert bleibt. Außer man wartet 20 Jahre zwischen den Sichtungen, dann verhält sich das vielleicht anders. Oder @Kiddo? :D

      Data schrieb:

      Und auch wenn es einer dieser Lynch-Streifen ist, die mich emotional eher kalt gelassen haben, würde ich ihn rein künstlerisch im oberen Drittel seines Schaffens ansiedeln.


      Ich kann mich daran erinnern, dass mich Blue Velvet beim ersten Mal sehen auch nicht so unfassbar gecatched hat. Doch mit steigendem Interesse am Regisseur fand ich nach und nach grandiose Aspekte am Film, die ihn für mich definitiv in seiner Top5 platzieren.

      Data schrieb:

      Ja, eigentlich ein bisschen ein Argumtszeugnis des Forums, eine solch detaillierte Analyse vom Gesamtwerk eines einzigen Filmemachers so weitestgehend unkommentiert zu lassen. Ich kann leider dieses Mal auch gar nicht so viel zur Diskussion beitragen, dazu habe ich den Film zu selten gesehen


      Ach, du, alles cool. Aber Merci für dein Mitgefühl! :D Dass hier kein sonderlich großes Interesse an dem Regisseur vorhanden ist, war mir schon vorher bewusst. Da hat das Forum eindeutig andere Schwerpunkte. Und nur, weil ich jetzt dieses "Projekt" am Laufen habe, muss sich auch niemand verpflichtet fühlen, da jetzt mitzudiskutieren (auch wenn es mich natürlich sehr freut, wenn) - fällt ja auch schwer, wenn man einen Film länger nicht mehr oder gar nicht gesehen hat. Wenn hier und da eine kleine Diskussion entsteht, was ja schon in ein/zwei Threads passiert ist, dann freut mich das bereits überaus. Und auch durch die Spendenaktion ist der Madman etwas in den Fokus gerückt. Alles okay. :)

      Aber ich freue mich natürlich stets sehr über deine Meinungen, Gedanken und all die spannenden Ergänzungen!

      Data schrieb:

      Ein Thema, das er mit Twin Peaks - vor allem mit Fire Walk With Me - dann zum Gipfel treiben wird - und zu welchem er mit Blue Velvet erste Andeutungen gibt, wohin es ihn thematisch mal verschlagen sollte.


      Absolut. Und das finde ich im Zuge meines Walkthroughs auch sehr spannend. Trotz all der Surrealität und Strangeness baut sich seine Filmografie sehr schlüssig auf. In Bezug auf Inhalte und Visualität. Generell ist Lynch innerhalb seines Kosmos sehr geordnet.

      Data schrieb:

      z.B. Inland Empire dominieren, den ich deswegen - gepaart mit der monströsen Laufzeit - dann fast schon unausstehlich finde.


      Ich kann es jedenfalls nachvollziehen. Mir bedeutet Inland Empire zwar dennoch einiges und ich würde in meinem Falle "anstrengend/fordernd" anstatt "unausstehlich" wählen, jedoch kommt hier auch der Hardcore-Lynchianer an seine Grenzen. Eraserhead beispielsweise mag im ersten Moment ähnlich kryptisch und verworren daherkommen, jedoch besteht da für den engagierten Dekodierer, der sich intensiv mit Lynch auseinandergesetzt hat, definitiv die Möglichkeit nahezu jede Szene/Symbolik/Metapher zu entschlüsseln. Fast schon überraschend, wie konkret der Film ist. Das wird bei Inland Empire jedoch nicht in dem Ausmaß gelingen, da es der Film auch gar nicht hergibt. Zumindest habe ich es so in Erinnerung. Umso gespannter bin ich, wie ich ihn diesmal erleben werde. Mit dem ganzen Input unmittelbar im Rücken.






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