Zuletzt gesehener europäischer Film

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    Es gibt 51 Antworten in diesem Thema. Der letzte Beitrag () ist von Burning.

      Bavarian schrieb:


      Ich kenne:
      Wo ist das Haus meines Freundes
      Der Geschmack der Kirsche
      Der Wind wird uns tragen
      Der Liebesfälscher
      Like Someone in Love

      War Like Someone in Love mal auf MUBI? Bin mir gerade nicht so sicher.


      Wenn dann habe ich ihn verpasst, denn gesehen habe ich den leider nie. Wäre jetzt auch der einzige aus deiner Liste, der mir noch fehlen würde.

      Aber ... ich verlasse mich da auch mal auf Mubi, dass die auf kurz oder lang für Nachschub sorgen. Kommt ja ständig neues Zeug, wenn sich Altes verabschiedet. Und hab da auch einige andere interessante Regisseure auf der Liste, denen ich nun ein bisschen meiner Zeit widmen kann. Erst kürzlich kam z.B. eine ganze Ladung an Fassbinders dazu, von denen ich viele nicht in meiner Heimsammlung habe.
      "I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase
      Robot Dreams
      [Pablo Berger, Frankreich/Spanien 2023]

      Sehr schöner Animationsfilm, welcher völlig ohne Dialoge auskommt und seine berührende Geschichte anhand von Bildern und Musik erzählt. Einsamkeit, das Überwinden von Verlust und dem täglichen Blick in den tristen Alltag, denn das Leben muss ja schließlich trotz aller Widrigkeiten irgendwie weitergehen, bis es wieder besser wird. Robot Dreams erzählt gefühlvoll die Geschichte zweier Protagonisten, die sich nicht gesucht, aber gefunden und schließlich wieder verloren haben. Viele kleine Szenen, die einiges bedeuten und einen Blick in beide Seelen bieten. Oftmals wecken die Szenen Melancholie, manchmal aber auch Freude oder schlichte Traurigkeit. Das Werk regt viele Gefühle an, schickt den Zuschauer auf eine entsprechende Reise und punktet mit einem Stil, der zum Verweilen einlädt.
      Mein Filmtagebuch



      „I think storytelling is all about children. We human beings love to hear stories being told - and it first happens when you're a kid.“
      - David Chase

      Auf Anfang
      [Joachim Trier, Norwegen 2006]

      Schon im Regiedebüt von Joachim Trier merkt man, welch fantastische Qualitäten der Norweger später einmal auffahren wird. Intime Persönlichkeiten, berührend ehrliche Männerfreundschaften und irgendwas mit Büchern. Auf Anfang berührt einen auf mehreren Ebenen, nicht immer unbedingt auf einer positiven Note, aber Gefühle sind reichlich vorhanden.



      EO
      [Jerzy Skolimowski, Polen 2022]

      Feinfühliges Drama über Tierquälerei und Liebe zu Tieren gleichermaßen. Dem Blickwinkel eines Esels folgend, erfährt man gefühlt am eigenen Leib, wie Tiere in Extremsituationen empfinden, wie sie aber dennoch Zuneigung zum Menschen entwickeln können, zu randalierenden Fußballfans werden und durch einsame, aber schön inszenierte, kahle Gegenden reisen - auf der Suche nach dem eigenen Glück, der Flucht aus der Gefangenschaft. Zuweilen ist EO etwas zu zäh und langatmig inszeniert, gerade der Mittelteil hätte etwas straffer erzählt werden können. Insgesamt jedoch sehenswert, mit dem etwas anderen Blick auf die tierische Gefühlswelt.
      Mein Filmtagebuch



      „I think storytelling is all about children. We human beings love to hear stories being told - and it first happens when you're a kid.“
      - David Chase

      - Downhill [Regie: Alfred Hitchcock; UK 1927]

      Die Geschichte eines Musterschülers an einer teuren Privatschule, dessen Leben eine Wendung und Abwärtsspirale nimmt, als er einer Unsitte beschuldigt wird und von der Schule entlassen wird.

      Hitchcocks dritter Film von 1927 kommt mit minimalen Einblendungen von Dialogkarten aus und wirkt damit wie eine Übung des jungen Filmemachers, eine tragische Geschichte über den Absturz eines jungen Mannes – und was dies mit ihm psychisch anstellt – auf fast ausschließlich visueller Ebene zu erzählen. Da kommt auch mal eine recht plakative Bildsprache zum Einsatz – der Gang den Treppenschacht zur Straßenbahn hinter; der Aufzug, der sprichwörtlich „downhill“ fährt -, aber auch eine sehr beeindruckende Sequenz eines fieberhaften Albtraumwahns, in dem ihn in einem kulminierenden Finale die Dämonen seiner Vergangenheit heimsuchen.

      Downhill bricht mit einigen Tabus, die ich von einem Film dieser Zeit nicht unbedingt erwartet hätte. Dennoch, so innovativ Hitch hier an vielen Stellen auch war, die fortlaufende Demütigung und das sich immer mehr steigernde Unglück unseres Protagonisten war auf Dauer dann doch ein wenig eintönig. Als Experiment und was er bildsprachlich alles ausprobieren konnte, ist der Film dennoch allemal einen Blick wert

      - The Farmer’s Wife [Regie: Alfred Hitchcock; UK 1928]

      The Trouble With Harry wird oft als Hitchcocks große Abzweigung in die Komödie angesehen, aber lange vor diesem gab es The Farmer’s Wife, die Geschichte über einen vermögenden Landwirt, der sich nach dem Ableben seiner Frau entscheidet, neu zu heiraten, dem es aber sichtlich schwierig fällt, auch nur eine der ledigen Damen in seinem Umfeld davon zu überzeugen, seinen Antrag anzunehmen.

      Hitchcock zeigt sich hier von seiner humoritisch schadenfrohesten Seite, suhlt er sich doch geradezu in der Demütigung und den darauffolgenden Wutausbrüchen seines Protagonisten, wenn er eine Zurückweisung nach der anderen erfährt. Das Ende ist total vorhersehbar, aber der Film bietet ein vorzügliches Ensemble an Charakteren, die ihn ausgesprochen sehenswert und unterhaltsam machen. Trotz seiner fast zwei Stunden Laufzeit, ein sehr kurzweiliger Spaß und neben The Lodger wohl mein liebster Hitchcock aus seiner Stummfilmphase, von denen, die ich gesehen habe.

      - Easy Virtue [Regie: Alfred Hitchcock; UK 1928]

      Sehr träges Stück, das wenig fesselnd ist und gerade im Aufbau und bei der Einführung in den Plot über eine viel zu lang geratene Rückblende besonders sperrig und verrannt daherkommt. Es geht um eine Frau, die sich nach einer in den Medien aufgebauschten Scheidung nach Südfrankreich absetzt, wo sie ihre Identität geheim halten möchte, nur um sich in einen neuen Mann zu verlieben, dessen Familie sie skeptisch betrachtet und die überzeugt davon ist, dass sie ein böses Geheimnis vor ihnen verbirgt.

      Easy Virtue hat gerade zu Beginn im Gerichtssaal eine optische Spielerei mit der Sehhilfe, die ich ganz amüsant fand, die Hitch dann aber später in Strangers on a Train nochmals perfektionieren konnte und in eine sehr viel denkwürdigere Szene einbetten konnte.

      Darüber hinaus hat der Film leider nicht viel geboten für mich. Eine vermeintlich tragische Liebesgeschichte, die nicht funktioniert, und ganz viel Melodrama, das so seicht wie schnell vergessen ist. Es ist schade, denn der Film bietet eine interessante progressive Sichtweise an, wie die Frau bei ehelichen Vergehen – gerade zu der Zeit – immer in die Antagonisten-Ecke gestellt wird und ich sehe auch in der finalen Szene durchaus einen Schlag in die Magengrube, der hätte landen sollen. Aber leider hakt es an zu vielen anderen Baustellen, die den Film dann auch in seinen interessanten Aspekten nicht so richtig zum Funktionieren bringen.
      "I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase
      - 45 Years [Regie: Andrew Haigh; UK 2015]

      Kurz vor der Feier des 45. Hochzeitstages von Kate und Geoff, erhält er einen Brief, dass in der Schweiz der Leichnam einer alten Freundin gefunden wurde, die vor über 50 Jahren bei einer Bergwanderung verschwunden ist. Kate weiß von der Liebschaft – aber in den darauffolgenden fünf Tagen erfährt sie zum ersten Mal viele der Details, die sie bisher nie besprochen hatten, was ihr verschwiegen wurde – und realisiert, wie wenig sie den Mann kennt, mit dem sie beinahe ein halbes Jahrhundert verheiratet ist.

      Andrew Haigh hat mit 45 Years einen Film über zwei Menschen gemacht, die zusammenleben und doch so einsam sind, als würden sie sich nicht kennen. In gewisser Weise tun sie das auch nicht, werden im Verlauf von wenigen Tagen doch Tatsachen enthüllt, die sie zwingen, sich komplett neu kennenlernen und von Grund auf bewerten zu müssen. Kate wird gespielt von Charlotte Rampling, Geoff von Tom Courteney, der immer leicht verwirrt, nie ganz bei der Sache zu sein scheint. Die beiden wirken wie das perfekte Paar: Harmonisch, zärtlich, abgestimmt aufeinander mit einer gemeinsamen Vergangenheit und geteilten Versäumnissen von Dinge, die sie vielleicht hätten tun sollen. Er wirft immer wieder die Frage in den Raum, ob er ihr dies oder das über seine Freundin nicht doch erzählt habe und er sich sicher sein, es mal erwähnt zu haben –, und trotz wachsender Anspannung bleiben die Stimmen gemäßigt, man ist immer noch nicht bereit, gegenüber laut zu werden und Frust – Emotionen irgendeiner Art – zu zeigen. Und das wirkt beiderseits wie ein Selbstschutz: Seine Art, um sich vor einer Erklärung zu drücken, warum er dieses oder jenes unterschlagen habe. Und ihre Tendenz, die Themen abzubrechen, über die sie nicht mehr sprechen will, um sich vor Wahrheiten zu schützen, die sie nicht hören möchte. Es gibt unzählige Momente in diesem Film, die Bände darüber sprechen, wie wenig die beiden sich nach all den Jahren kennen. Fast schon, als hätten sie dies so gewollt.

      Ich bin nicht immer der größte Fan von Charlotte Rampling, zu oft empfinde ich ihre Präsenz als kalt, ihr Schauspiel als distanziert und über ihren Mitspielern. In 45 Years aber hat sie mich voll und ganz abgeholt. Sie macht sie Dinge mit ihrer Stimme, mit diesen verlorenen Blicken, während sich nach und nach ein Wissen in ihr komplettiert, das sie verstehen lässt, ihr Leben mit jemandem verbracht zu haben, der nie ehrlich zu ihr war – und von dem sie diese Ehrlichkeit auch nie wollte. Es ist eine der großen subtilen Charakterstudien über eine Erkenntnis am Ende eines Lebens, das einen mit Reue und Frust darauf zurückblicken lässt, welchen enormen Fehler man gemacht hat. Und es ist ein wahnsinnig nuanciertes Schauspiel, das eine Millionen komplexe Emotionen in einem einzigen gläsernen Blick vereint.

      Als Kate und Geoff am Ende des Films zu Smoke Gets In Your Eyes von den Platters ihren Hochzeitstanz wiederholen, ist er völlig selbstvergessen im Moment verloren, als wären die letzten fünf Tage mit Rührei und einem Spaziergang hinter sich gebracht, während sich in ihr eine Panik aufbaut, eine Abscheu, die sie seine Hand mit einem Ruck abschütteln lässt, als habe sie sich entschieden, von ihm loslassen zu müssen. Das ist ein Moment, der sich nur schwer runterschlucken lässt. Und es ist der Punkt, an dem Haigh entscheidet, den Film auf bittere Weise enden zu lassen – mit zwei Personen, die gemeinsam verloren in ihrer Einsamkeit sind.
      "I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase
      45 Years
      (Andrew Haigh)

      Zunächst einmal lieben Dank @Data für den direkten Impuls, dass das Werk was für mich sein könnte. Blöderweise habe ich deine Kritik hier im Thread überlesen. Und ja, ich konnte mit dem Drama sehr viel anfangen und stimme deinen Ausführungen absolut zu!

      Ein bedächtiges Charakter-Drama trifft auf eine überaggressive Metapher und verarbeitet dabei ein spezielles Phänomen. Geschichten über vergangene Liebschaften des Partners dürften wohl bei den wenigsten Menschen zu den Lieblingsgeschichten gehören, über die man unbedingt jedes Detail wissen will. Und doch existiert diese Vergangenheit in den meisten Fällen. Und das muss Charlotte Rampling in diesem Werk mit aller Härte durchleben. Die schmerzvolle Auseinandersetzung mit einem alternativen Lebensweg ihres Mannes. Mit einer alternativen Version von ihr selbst. Auch hier wieder ein sehr plakativer Hint (Cate / Katja), der aber relativ konträr zum subtilen und nuancierten Beziehungsdrama steht. Rampling ist hier wahrlich eine Wucht. Ihre Präsenz passt perfekt zur Rolle. Courtenay (rein schauspielerisch) dabei eher der selbstlose Assistgeber.

      Im vermeintlichen Mittelpunkt steht ein 45. Hochzeitstag. Ein irgendwie merkwürdiges Jubiläum, so irgendwann vor der goldenen Hochzeit. Was sich wiederum ganz gut fügt, denn obwohl der Film nach diesem Tag benannt ist, könnte er egaler nicht sein. Es geht rein um die beiden. Ihren Ist-Zustand, nachdem sämtliche Illusionen zerbröselt sind. Von einer routinierten Seelenverwandschaft zur bitteren Erkenntnis. Die eigentlich nichtig sein müsste. Es aber keinesfalls ist. Die letzte Szene hat mich ziemlich gepackt. Ein trostloser letzter Schnitt, der betroffen macht. Der aber auch mit auf den Weg geben kann, dass es vollkommen okay ist, wenn die Liebe nicht schicksalshaft ist, sondern zufällig und opportunistisch. Und dass jeder ein Recht auf seine unausgesprochenen Mysterien hat. Doch diese Akzeptanz tut weh. Mir erschien es fast so, als würde die Protagonistin diesen Schmerz für uns abfangen, sodass wir daraus lernen können.






      Schöne Kritik. Und freut mich, dass er dir so zugesagt hat, wie mir. :)

      Bavarian schrieb:

      Im vermeintlichen Mittelpunkt steht ein 45. Hochzeitstag. Ein irgendwie merkwürdiges Jubiläum, so irgendwann vor der goldenen Hochzeit. Was sich wiederum ganz gut fügt, denn obwohl der Film nach diesem Tag benannt ist, könnte er egaler nicht sein. Es geht rein um die beiden. Ihren Ist-Zustand, nachdem sämtliche Illusionen zerbröselt sind. Von einer routinierten Seelenverwandschaft zur bitteren Erkenntnis. Die eigentlich nichtig sein müsste. Es aber keinesfalls ist. Die letzte Szene hat mich ziemlich gepackt. Ein trostloser letzter Schnitt, der betroffen macht. Der aber auch mit auf den Weg geben kann, dass es vollkommen okay ist, wenn die Liebe nicht schicksalshaft ist, sondern zufällig und opportunistisch. Und dass jeder ein Recht auf seine unausgesprochenen Mysterien hat. Doch diese Akzeptanz tut weh. Mir erschien es fast so, als würde die Protagonistin diesen Schmerz für uns abfangen, sodass wir daraus lernen können.


      Ich hab mich ehrlich gesagt nicht getraut, aus diesem letzten (richtig schön geschriebenen) Absatz was raus zu editieren. Das waren treffende Worte. Aber meinst du, sie hat in diesem letzten Moment Akzeptanz gefunden? Mir kam es eher so vor, als würde sie endlich loslassen - sich förmlich losreißen -, nachdem sich so viel Frust und Wut über den (sieht sie das so?) Verrat ihres Mannes in ihr aufgebaut hat.
      "I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase

      Data schrieb:

      Ich hab mich ehrlich gesagt nicht getraut, aus diesem letzten (richtig schön geschriebenen) Absatz was raus zu editieren. Das waren treffende Worte. Aber meinst du, sie hat in diesem letzten Moment Akzeptanz gefunden? Mir kam es eher so vor, als würde sie endlich loslassen - sich förmlich losreißen -, nachdem sich so viel Frust und Wut über den (sieht sie das so?) Verrat ihres Mannes in ihr aufgebaut hat.


      Besten Dank! :)

      Sehr gute Frage, über die ich erstmal kurz nachdenken musste.

      Spoiler anzeigen
      Ich könnte mir gut vorstellen, dass in diesem Moment beides passiert. Gehadert hat sie ja vorab bereits stark. Nur um Momente später die alten Routinen als Schein zu instrumentalisieren, als wäre wieder alles gut. Es könnte sich um einen Schock/ein Losreißen und eine Akzeptanz im selben Moment handeln, so hatte ihre Reaktion - so qualvoll diese letzte Szene auch inszeniert wurde - doch etwas Befreiendes. Für sie, und für mich als Zuschauer. Von daher sehe ich darin schon irgendwo eine Art Akzeptanz. Nicht in dem Sinne, dass das eigentlich alles gar nicht so schlimm und okay ist. Sondern eben, dass es schlimm ist. Und, dass es okay ist, dass es für sie schlimm ist. Dass es unumkehrbar ist. Dass es weh tut. Dass kein Neuanfang möglich ist, so wie am Vortag noch vereinbart. Probleme und ihre Bedeutung müssen klar identifiziert werden, um sie verarbeiten zu können. Und das widerfährt ihr in diesem symbolisch sehr treffenden Schein(-werfer)moment. Ob sie sich damit dann doch arrangieren kann oder die Beziehung daran zerbricht, steht dann natürlich nochmal auf einem anderen Blatt.






      Bavarian schrieb:

      Data schrieb:

      Ich hab mich ehrlich gesagt nicht getraut, aus diesem letzten (richtig schön geschriebenen) Absatz was raus zu editieren. Das waren treffende Worte. Aber meinst du, sie hat in diesem letzten Moment Akzeptanz gefunden? Mir kam es eher so vor, als würde sie endlich loslassen - sich förmlich losreißen -, nachdem sich so viel Frust und Wut über den (sieht sie das so?) Verrat ihres Mannes in ihr aufgebaut hat.


      Besten Dank! :)

      Sehr gute Frage, über die ich erstmal kurz nachdenken musste.

      Spoiler anzeigen
      Ich könnte mir gut vorstellen, dass in diesem Moment beides passiert. Gehadert hat sie ja vorab bereits stark. Nur um Momente später die alten Routinen als Schein zu instrumentalisieren, als wäre wieder alles gut. Es könnte sich um einen Schock/ein Losreißen und eine Akzeptanz im selben Moment handeln, so hatte ihre Reaktion - so qualvoll diese letzte Szene auch inszeniert wurde - doch etwas Befreiendes. Für sie, und für mich als Zuschauer. Von daher sehe ich darin schon irgendwo eine Art Akzeptanz. Nicht in dem Sinne, dass das eigentlich alles gar nicht so schlimm und okay ist. Sondern eben, dass es schlimm ist. Und, dass es okay ist, dass es für sie schlimm ist. Dass es unumkehrbar ist. Dass es weh tut. Dass kein Neuanfang möglich ist, so wie am Vortag noch vereinbart. Probleme und ihre Bedeutung müssen klar identifiziert werden, um sie verarbeiten zu können. Und das widerfährt ihr in diesem symbolisch sehr treffenden Schein(-werfer)moment. Ob sie sich damit dann doch arrangieren kann oder die Beziehung daran zerbricht, steht dann natürlich nochmal auf einem anderen Blatt.


      Interessante Interpretation, mit der ich aber glaub nicht ganz mitgehen kann. Befreiend war es bestimmt. Aber das Wort Akzeptanz klingt mir zu positiv, wenn ich an Charlotte Ramplings Blick denke, der mir zu verletzt und fertig-mit-allem aussah, in diesem letzten Shot, bevor die Credits losgelaufen sind. Aber vielleicht hast du auch einfach mehr Hoffnung in die Menschheit, dass sie Lektionen lernen aus ihrer Vergangenheit und dies in Neuanfänge umsetzen. :D
      "I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase
      45 Years
      [Andrew Haigh, UK 2015]

      Wunderbares Charakter-Drama, das mit vielen Metaphern spielt und eine augenscheinlich glückliche Ehe auf den Kopf stellt. Nach den titelgebenden 45 Jahren, zerrüttet ein Brief das Eheglück, ruft Erinnerungen an seine alte Liebschaft wach, die damals in einen Gletscher gestürzt ist und lässt nun, kurz vor ihrem Hochzeitstag, seine jetzige Frau ebenfalls in ein Loch stürzen, kann sie doch mit den neuen Erkenntnissen nicht umgehen, geschweige denn, diese auf gesunde Art und Weise verarbeiten. So wundert es nicht, dass im Laufe des Film das gesamte gemeinsame Leben in Frage gestellt wird. Und meine Güte, spielt Charlotte Rampling diese Achterbahnfahrt der Gefühle grandios. Ihr Schmerz ist greifbar, ihre Verzweiflung spürbar, aber auch ihr Wille, diese Sache nicht zu sehr aufzuwiegeln, ist es doch vor ihrer gemeinsamen Zeit passiert. Ebenso wie ihre Erkenntnis, dass sie möglicherweise nur ein Ersatz ist, der von ihrem Mann so geformt wurde, dass er seiner alten Leidenschaft ähnelt.

      Ein hochkarätiges Drama über Akzeptanz seiner selbst, aber auch der plötzlich veränderten Umstände. Über Geheimnisse, die in der Theorie keine sein bräuchten, da sie lange Vergangenheit sind, so wie der Erkenntnis, dass manche Geheimnisse doch besser Geheimnisse bleiben sollten, seien sie auch noch so vermeintlich irrelevant. Ein Erwachen aus einem Traumbild, rein in die harte Realität.


      Herzlichen Dank an die beiden Kollegen @Data und @Bavarian, ohne die ich dieses Werk vielleicht noch etwas länger vor mir hergeschoben hätte. Zur letzten Szene: Ja, ich denke auch, dass da die totale Erkenntnis zu ihr durchgedrungen ist, sie nun hellwach ist und sieht, wie sie ihren zukünftigen Weg beschreiten kann.
      Mein Filmtagebuch



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      - David Chase

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