All of Us Strangers (Andrew Haigh)

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    Es gibt 15 Antworten in diesem Thema. Der letzte Beitrag () ist von Data.

      All of Us Strangers (Andrew Haigh)

      All Of Us Strangers



      Produktion: UK / USA 2023
      Genre: Drama / Fantasy / Liebesfilm
      Laufzeit: ca. 105 Minuten
      Freigabe: R-Rating

      Kinostart USA: 22. Dezember 2023 (limitiert)
      Kinostart UK: 26. Januar 2024
      Kinostart DEU: 08. Februar 2024

      Regie: Andrew Haigh
      Drehbuch: Andrew Haigh
      Vorlage: Strangers by Taichi Yamada
      Produzenten: Graham Broadbent, Pete Czernin, Sarah Harvey
      Studios: Film4, TSG Entertainment, Blueprint Pictures, Searchlight Pictures

      Inhalt:
      Adam (Andrew Scott) hat eines Nachts in seinem fast leeren Hochhaus im modernen London eine zufällige Begegnung mit seinem mysteriösen Nachbarn Harry (Paul Mescal), die seinen Alltagsrhythmus durchbricht. Sie kommen sich schnell näher und der sonst so introvertierte Adam vertraut sich dem einfühlsamen Harry schnell an. Er erzählt ihm von seiner Kindheit und von seinen Plänen über ein Buch, das er über sein Leben schreiben will. Dazu begibt er sich auf eine schwierige Reise in die Vergangenheit. Er fährt zu seinem Elternhaus, wo alles so zu sein scheint, wie er es zurückgelassen hat. Auch seine längst verstorbenen Eltern (Claire Foy und Jamie Bell) scheinen keinen Tag gealtert zu sein. Hat seine lange Einsamkeit und Trauer dazu geführt, dass er jetzt die Kontrolle über die Realität verliert? Denn wie sollte es sonst möglich sein, plötzlich seinen verstorbenen Eltern gegenüberzustehen?


      Rotten Tomatoes (99%)

      Filmstarts (5/5) - Ein so schmerzvolles wie tröstliches Meisterwerk

      imdb


      Vom gefeierten britischen Regisseur Andrew Haigh ("Lean on Pete", "45 Weeks", "Weekend").


      VHS - DVD - Blu-ray - UHD
      - All of Us Strangers [Regie: Andrew Haigh; UK 2023]

      Adam ist ein freiberuflicher Drehbuchautor und lebt allein in einem Apartment in London. Als er eines Nachts vom Feueralarm vor die Tür getrieben wird, sieht er am einzig beleuchteten Fenster seines Hochhauses die Silhouette eines Mannes, der ihn beobachtet. Zurück in seiner Wohnung, klopft Harry - der ihm bisher unbekannte Nachbar - an seiner Tür. Nach anfänglichem Zögern beginnen die beiden eine Affäre, die sich in eine intensive Romanze entwickelt. Gleichzeitig beginnt Adam, seine Eltern zu besuchen - die gestorben sind, als er gerade erst 12 Jahre alt war. Er verbringt immer öfter ganze Abende mit ihnen, hält tiefe Unterhaltungen, die sie zu deren Lebzeiten nie haben konnten, und fängt an, sich immer mehr in dieser anderen Realität zu verlieren.

      Die Buchvorlage Sommer mit Fremden des japanischen Schriftstellers Taichi Yamada von 1987 ist eine dem Klappentext nach ziemlich gradlinige Geistergeschichte - Andrew Haighs Drehbuch ist lange Zeit nicht ganz offen damit, ob Adam tatsächlich mit seinen toten Eltern spricht oder ob er sich diese in einem mysteriösen Fieberwahn nur einbildet. Es gibt Momente, da gibt der Film eine klarere Antwort als in anderen - nur um diese Klarheit in der nächsten Minute wieder zu vernebeln, als würden wir eine Spirale hinunterrutschen, die den oben liegenden Horizont immer verschwommener aussehen lässt. Dabei ist All of Us Strangers keineswegs ein surrealer Film - sondern wirkt auf emotionaler Ebene stets gefußt im Hier und Jetzt. Es ist nur so, dass die Grenze zwischen Realität und dieser anderen, nicht ganz klar definierten Welt, in die sich Adam manchmal bewegt, so fein miteinander verwischt wird, dass es schwierig wird darauf zu zeigen, was denn wirklich vor sich geht – und was nicht. Und das ist natürlich ganz genau, wie es unserem Protagonisten während dieser Episoden ergeht - und was einem als Zuschauer erlaubt, sich in dessen Kopf wiederzufinden.

      All of Us Strangers ist ein Film über einen zutiefst einsamen Mann, der schwere Verluste in einem jungen Alter erfahren hat, als er nicht mehr ganz Kind und noch nicht ganz Mann war, zu einer Zeit, als er begonnen hat, seine eigene Sexualität zu entdecken und nie die Gelegenheit hatte, diese zutiefst prägende Entwicklung mit seinen Eltern zu teilen. Der diese Aufarbeitung jetzt nachholt in langen Gesprächen – die er sich vielleicht nur einbildet, die vielleicht aber auch real sind - und die sich so intim und persönlich anfühlen, dass man nicht umher kommt zu denken, dass der Autor hier mehr von sich aufarbeitet als von dem Charakter, für den er schreibt. Oder vielleicht gibt es da auch manchmal keinen großen Unterschied. Es ist ein Film über Traumata und wie jemand diese über 30 Jahre hinweg nicht verarbeitet hat - was über diese zutiefst traurigen Augen von einem grandiosen Andrew Scott transportiert wird, der eine wahrliche Offenbarung ist mit der Darbietung des einsamen Schriftstellers, mit diesem stets unsichere Lächeln in einem Gesicht, das keiner Situation so recht zu trauen scheint, wenn sie zu persönlich wird, sich ihm jemand zu sehr annähert, worauf er reflexartig auf sofortige Distanz geht.

      Ich habe so viele Emotionen durchgemacht, dass ich manchmal gar nicht alles so schnell verarbeiten konnte, was mir hier an Stimmungswechsel und unerwarteten Wendungen gezeigt wurde. War ich im einen Moment noch zusammen mit Adam und Harry beim wilden Feiern in der Disco, finde ich mich, ohne zu wissen wie mir geschieht, in der nächsten Sekunde inmitten eines paranoiden Alptraums, der droht, mich in den Wahnsinn zu treiben. Es gab Momente in diesem Film, die blankem Horror gleichkamen - und damit wohl der Romanvorlage näher waren, als an manch anderer Stelle - und was diese Momente so erschreckend machte, war, dass der Film einen dort hingenommen hat, ohne darauf vorzubereiten. Der wirklich merkwürdige Teil war, dass ich im ersten Moment immer dachte, dass Haighs jetzt gerade über den sprichwörtlichen Haifisch gesprungen ist, weil die Wendung schlichtweg nicht passte - und ich dann oft keine ganze Minute gebraucht habe, bis das neue Szenario vollumfänglichen Sinn machte und sich völlig organisch in die Narrative einfügte, weil das der natürliche Weg war, den diese Geschichte gehen musste.

      Ich kann nicht mal beginnen, zu erklären, wie Haighs das geschafft hat - aber er kommt damit davon und zwar gleich mehrere Male, was für seine unglaublich starke Erzählstimme spricht. Und nicht nur das, der Film sieht unter seiner Inszenierung auch einfach fantastisch aus, mit einem Spiel von Licht und Schatten, das bereits während dieser unglaublichen Eröffnungssequenz, das ein London während der Morgendämmerung offenbart, beginnt und uns einige der intensivsten, direktesten und vulnerabelsten Sexszenen seit den Wachowskis zeigt – und all das eingefangen von einer prächtigen Kameraarbeit von Jamie Ramsay, die All of Us Strangers jetzt schon zu den am schönsten fotografierten Filmen des Jahres macht.

      Ein großartiger Film, der zuweilen frustrieren, erschüttern, niederschmettern konnte - und sich trotz allem nie anfühlt, als wollte er einen am Boden sehen, sondern hat stets nach der emotionalen Ehrlichkeit in allem gesucht, was er gezeigt hat. Es ist nicht zu viel der Preisung, wenn ich sage, dass dieser Film ganz neue Perspektiven offenbart, zu was ein Film narrativ in der Lage, wie er überraschen, schockieren, emotional mitreisen kann. All of Us Strangers - ich habe das ganz, ganz starke Bedürfnis, dich nochmals möglichst schnell wiederzusehen. Und sei es nur, um meinen Verdacht zu bestätigen, dass ich hier ein hochkarätiges Meisterwerk bezeugt habe.
      "I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von „Data“ ()

      Klingt fantastisch. Auf den Film freue ich mich auch schon lange, jetzt vielleicht noch ein bisschen mehr. Danke für die tolle Review, der ich mich bei gegebener Zeit dann hoffentlich anschließen kann :)
      Mein Filmtagebuch



      „I think storytelling is all about children. We human beings love to hear stories being told - and it first happens when you're a kid.“
      - David Chase

      Original Trailer:


      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von „MovieDon“ ()

      Puh, direkt nach dem Film ne Review zu schreiben, ist echt schwierig. Ich mach's mal kurz: Den Mittelteil fand ich einen Tick zu lang, aber die letzten 20-30 Minuten reißen das ja mal so was von raus. Wie emotional, schön und gut war das bitte am Ende inszeniert? Hat genau meinen Nerv getroffen. Mehr will ich an dieser Stelle dann gar nicht sagen, das muss ich erst mal sacken lassen.

      8.5/10
      "All of us Strangers" hat mich viel zum Nachdenken angeregt, im Sinne von 'wie habe ich den Film jetzt zu verstehen'? Im Grunde aber bleibt für mich da nur eine Erklärung möglich.

      Unter dieser Voraussetzung verstehe ich folgende Punkte allerdings nicht.
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      ​Wieso muss sich Adam von seinen Eltern überhaupt verabschieden? Inwiefern stehen sie ihm mit seiner Romanze Harry im Weg? Es würde unter Umständen Sinn machen, wenn in der Ewigkeit, dem Tod oder was auch immer, verschiedene Dimensionen existieren, sodass man sich am Ende für eine entscheiden muss.


      Aber wie auch immer, gefesselt hat mich der Film von Beginn an. Die Optik, das Acting, das gesamte Storytelling - alles fügt sich super zusammen und wirkt irgendwie mysteriös. Soundtrack ist ebenso fantastisch, so dass es kaum etwas zu meckern gibt.

      8/10
      All of Us Strangers dürfte wohl einer der emotionalsten Filme des Jahres sein. Adam, der in frühester Kindheit traumatisches durchmacht, dieses nie richtig verarbeiten konnte, mit seiner Sexualität alles andere als ausgeglichen ist ... es ist eine Reise, die in wunderschönen, traurigen Bildern dargestellt wird, gespielt von einem Andrew Scott in Höchstform. Jede Gefühlsregung, die Adam durchmacht, macht man auch als stiller Zuschauer vor dem Bildschirm durch. All of Us Strangers zeigt vordergründlich nicht allzu viel, lässt einen zwischen den Zeilen in die stillen Bilder eintauchen, die Gefühlswelt des Protagonisten erkunden, mit ihm das Trauma aufarbeiten und mit Höchstgeschwindigkeit die Stimmung wechseln. Mal zum Guten, oftmals aber auch nicht.

      Es ist ein Film der berührt, der meist still ist, aber jede Menge mitzuteilen hat, wenn man nur geneigt, diese kleinen Nuancen in Spiel und Inszenierung zu erkennen und aufzunehmen. Das Ende des Films ist die absolute Meisterklasse, der Abschluss passt so perfekt, wie man es sich nur wünschen kann.
      Mein Filmtagebuch



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      - David Chase

      @kruemel: Jetzt stehe ich aber gerade etas auf dem Schlauch.

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      ​Ich kann mich tatsächlich nicht daran erinnern, dass der Film den Eindruck vermittelte, dass ihm seine Eltern im Weg stehen. Ich meine, dass es ja mehr um Verarbeitung von Trauma und um Aufarbeitung einer verpassten Zeit ging, weil Adam seine prägenden Jugendjahre (wie sein Outing) nicht normal durchlaufen konnte, eben weil seine Eltern so plötzlich aus seinem Leben gerissen wurden. Die Dinge konnte er jetzt nachholen, indem er mit den Geistern seiner Eltern spricht. Und bevor er da bestimmte Entwicklungsschritte in seinem Kopf nicht fertig gespielt hatte, war er vielleicht nicht bereit, den nächsten Schritt im Leben zu machen - wie, sich auf Harry einzulassen.

      Für mich hat sich da mehr im Kopf abgespielt - ich habe die Geister nicht als echt angesehen - und die Szenarien waren mehr Vorstellungen in Adams Kopf, was hätte sein können und sollen.
      "I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase
      Da ich Disney+ nur noch bis Mitte diesen Monats habe, wollte ich mir dieses Werk nicht entgehen lassen und ich wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil. Hochemotional erzählt, hat mich der Film richtig mitgenommen. Auch wenn ich mittendrin und zum Ende hin ähnlich verloren war wie der Hauptprotagonist. Mescal spielt sicherlich gut, aber Andrew Scotts Performance hat mich einfach umgehauen. Richtig stark. Dazu exzellente Bilder und eine Musikauswahl die passender nicht sein kann. Toll. :hammer:

      :stern: :stern: :stern: :stern: :stern: :stern: :stern: :stern: :stern2: :stern2: - 8,0/10

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von „Scholleck“ ()

      Puh… Ich wusste vorher nicht im Detail worauf ich mich mit diesem Film einlassen würde. Hätte ich gewusst, dass Einsamkeit so sehr in Melancholie und Tragik verpackt werden kann ohne super kitschig oder drüber zu wirken, hätte ich vermutlich nie die passende Zeit dafür gefunden.

      Schön gefilmt, schön gespielt (Paul Mescal kann also doch herausstechen) und inhaltlich schön eingefangen … ein Film der zum Nachdenken anregt und auch nach dem Abspann, der hier gerne bis zum Ende laufen darf, einen nicht loslässt … 8 von 10 Punkten

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von „TLCsick“ ()

      Ein mitreißender, fordernder und emotional komplexer Film. Ich gehe komplett mit meinen Vorrednern mit.

      Regisseur Haigh inszeniert ein mannigfaltiges Gefühl der Einsamkeit. Seelisch und physisch. Ein Gefühl, das trotz der kunstvollen Bilder und all den vorhandenen Ebenen so grundehrlich wirkt. All of us Strangers zerrt den Zuschauer gnadenlos mit hinein in all die Melancholie und Isolation, doch ohne dabei Böses zu wollen. In dem Film verankert sich eine krasse Traurigkeit. Allein dieses blutleere Haus mit der unwirklich erscheinenden Skyline. Der Trubel zum Greifen nah, und doch so weit weg. Doch auch die Hoffnung ist da. Einsamkeit kann zwar schmerzen, sie schenkt gewissen Dingen jedoch auch ungemeine Bedeutungen und birgt Potenziale. Das Werk verhandelt über Traumaverarbeitung, Akzeptanz, Selbstliebe, dem Streben nach Glück. Ein wahres Emotionsmonster, bei dem ich manchmal überhaupt nicht wusste, wohin mit meinen Gefühlen.

      Im Mittelteil fällt ganz nebenbei Satz, der mich irgendwie nicht mehr loslässt. Sinngemäß: "Ich war anders. Also behandelten sie mich anders. Und so richtig kann niemand etwas dafür." Eine gar schicksalshafte Bürde. Ein Satz, der wie ein Omen wirken mag, wenn man den Film fertig gesehen hat.

      Das Werk dient als eine schmerzliche Parabel auf ein sich immer stärker ausbreitendes soziologisches Phänomen der Einsamkeit, lässt uns damit aber nicht allein zurück, sondern sendet Lösungen. Denn Einsamkeit endet nicht automatisch in Gesellschaft. Es braucht den Willen, mit sich selbst Frieden zu schließen.






      Bavarian schrieb:

      Das Werk dient als eine schmerzliche Parabel auf ein sich immer stärker ausbreitendes soziologisches Phänomen der Einsamkeit, lässt uns damit aber nicht allein zurück, sondern sendet Lösungen. Denn Einsamkeit endet nicht automatisch in Gesellschaft. Es braucht den Willen, mit sich selbst Frieden zu schließen.


      Ich finde mich in so vielen Aspekten wieder in diesem Film. Aber yep, das hier bringt die Essenz der Sache eigentlich auf den Punkt - und erklärt, warum All of Us Strangers diesen ur-traurigen Grundton mit sich bringt, der sich durch all seine Fasern - sein gesamtes Wesen - zieht.

      Ein unglaublich starkes Werk, das mich seit meinem Kinobesuch damals zu einer Zweitsichtung zieht. Vielleicht hole ich das bald mal nach.
      "I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase