Perfect Days
Studio Master Mind Limited, Spoon Inc., Wenders Images
Vertrieb DCM, Bitters End
Veröffentlichung 25. Mai 2023 (Cannes), 21. Dezember 2023 (Deutschland), 22. Dezember 2023 (Japan)
Laufzeit 124 Minuten
Land Japan, Deutschland
Sprache Japanisch
Regie Wim Wenders
Drehbuch Wim Wenders, Takuma Takasaki
Produzenten Wim Wenders, Takuma Takasaki, Koji Yanai
Kamera Franz Lustig
Schnitt Toni Froschhammer
Besetzung
Kōji Yakusho -- als -- Hirayama
Tokio Emoto -- als -- Takashi
Arisa Nakano -- als -- Niko
Aoi Yamada -- als -- Aya
Yumi Asō -- als -- Keiko
Sayuri Ishikawa -- als -- Mama
Tomokazu Miura -- als -- Tomoyama
Min Tanaka -- als -- Homeless
Inhalt und Kritik
Perfect Days hat einen etwas kuriosen Ursprung, wie ich gelernt habe. Offenbar wurde Wim Wenders vom Tokyo Toilet Project eingeladen, die 16 neu gestalteten öffentlichen Toiletten im Stadtteil Shibuya zu begutachten mit der Intention, dass er ein paar Kurzfilme über das Projekt machen könnte. Wenders war aber inspiriert und entschied sich stattdessen für einen abendfüllenden Spielfilm. Wie das in Momenten kreativer Erleuchtung halt manchmal so passiert.
Zusammen mit Takuma Takasaki hat er in Folge dessen einen Film geschrieben über Hirayama, eine wortkarge Putzkraft eben dieser öffentlichen Toiletten. Der Film folgt seinen repetitiven Alltag wie er morgens aufwacht, sich um seine Pflanzen kümmert, zur Arbeit geht, die öffentlichen Duschräumlichkeiten aufsucht, im fast immer selben Restaurant zu Abend isst und ein paar Seiten seines Buches liest, bevor er schlafen geht. Tag ein und Tag aus derselbe Ablauf, der ihn aber sichtbar glücklich zu machen scheint – und von dem er nicht mal abweicht, wenn unvorhergesehene Momente eintreten, die diese Routine durcheinander bringen.
Perfekte Tage – so singt Lou Reed in seinem Signatur-Song, der hier ausnahmsweise Mal stilvoll eingesetzt wurde - sind doch die, die einem auch gehören. Wenn alles nach Plan läuft und einen nichts aus der Bahn wirft. Wenn man sich am Abend mit dem Wissen ins Bett legt, dass man alles erreicht hat, was man sich morgens vorgenommen hatte. Man muss nicht die Welt gerettet haben – es reicht schon, wenn der Tag gebracht hat, was wir von ihm erwartete.
Hirayama wird gespielt von Kōji Yakusho in einer äußerst minimalistischen schauspielerischen Darbietung, die zu keiner Minute mehr preisgibt, als der Film in jeder gegebenen Szene von ihm verlangt. Es ist eine interessanter Charakter, den er spielt und über den wir nur Spärliches erfahren. Er mag schlichte Dinge – wie die Sonne zur Mittagszeit durch die Lücken zwischen den Blättern der Bäume im Stadtpark bricht – und hört Musik auf Hörspielkassetten. Er redet nicht viel, aber beobachtet alles. Er hat eine Schwester und einen Vater im Heim, mit denen er beiderlei ein eher schwieriges Verhältnis hat. Und er hat Gelegenheitsbekannte wie Mama, die Inhaberin seines Stammrestaurants, oder Takashi, einen jungen Kollegen, der nicht die beste Arbeitsmoral hat. Seine Unterhaltungen gehen oft nicht tiefer, als dass er sich einen schönen Feierabend wünschen lässt. Und dennoch scheint er sehr zufrieden mit sich, nimmt seine Arbeit ernst und freut sich, wenn er Touristen erklären kann, wie die durchsichtigen Toilettenräume funktionieren. Er verlässt morgens sein Haus mit einem Lächeln auf den Lippen – und es wirkt stets souverän und ehrlich, als hätte er in diesem Moment wirklich alles, was er im Leben braucht.
Hirayamas Leben dürfte den meisten Leuten nicht fremd sein, die diesen Film sehen – und dennoch umgibt ihn eine mysteriöse Aura, die ihn interessant und spannend macht und die der Grund ist, warum man ihm gerne durch seinen routinierten Alltag folgt. Der Besuch seiner Nichte Niko scheint einen Wendepunkt in seinem Leben einzuläuten – auch wenn dies keinen Dammbruch auslöst, wie andere Filme das vielleicht dargestellt hätten. Es sind kleine Momente, wie er seine frisch entwickelten Fotos nicht mehr sortiert, sondern gelangweilt zu Boden wirft, die zeigen, dass sich in seinem Kopf etwas bewegt. „Wenn sich nichts verändern würde, wäre das ja absurd“ hören wir Hirayama sagen, als er gegen Ende des Films mit dem Ex-Mann von Mama der Frage nachgeht, ob Schatten dunkler werden, wenn zwei von Ihnen übereinander liegen. Es ist eine merkwürdig anmutende Aussage von einem Mann, der noch immer Kameras mit analogem Film verwendet und über zwei Stunden nicht darüber gesprochen hat, warum sich in seinem Leben selbst nichts tut. Während den letzten Minuten des Films bricht Hirayama einmal mehr mit seinem Van zur Arbeit auf und die Kamera verbleibt über zwei unbarmherzige Minuten auf dessen Gesicht, das am Rand der Tränen ist und das gleichzeitig von einem Überglück anmutet, weil es einem neuen Sonnenaufgang entgegenblickt. Es ist ein beeindruckendes Schauspiel von Yakusho in diesem Moment, das höchste Disziplin im Anblick von völliger Entblößung zeigt.
In Perfect Days trifft Minimalismus auf die großen Fragen des Lebens – und macht so wenig Geräusche, dass man die Kollision erst registriert, wenn sie vorbei ist. Was für eine umwerfende Melange aus allen Disziplinen des Filmemachens hier zusammengekommen ist. Und was für ein perfekter Film dabei herauskam.
Danke @Burning, dass du mich doch noch auf den hier hinauf gelupft hast.
"I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don't add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry." - David Chase