Übersicht
Einleitung
The Green Knight basiert auf dem Stück "Sir Gawain and the Green Knight" aus dem 14. Jahrhundert und dürfte insbesondere jedem Anglisten oder zumindest jedem, der sich mit mittelalterlichen Klassikern der englischen Literatur beschäftigt hat, ein Begriff sein. Das Stück handelt von Sir Gawain, der im Gegensatz zu zum Beispiel Lancelot ein unbekannteres Mitglied von Artus' Tafelrunde ist.
Es gibt bereits zwei filmische Interpretationen der Ritterromanze, die jüngste stammt von Regisseur David Lowery („A Ghost Story“) für das Indiestudio 'A24'. Wer den Regisseur und auch das Studio kennt, wird wissen, dass hier keine normale Adaption mit viel Pathos zu erwarten ist, sondern dass hier wesentlich mehr Arthouse mitschwingt. Inwiefern dies gelungen ist und wie nicht, verraten euch die kommenden Absätze.
Kritik
In "Sir Gawain and the Green Knight" geht es um eine Feierlichkeit an Silvester, bei der Artus' Tafelrunde versammelt ist. Unerwartet kommt ein grüner Ritter, der auffordert, dass mit seiner Axt ein Schlag gegen ihn durchgeführt wird. In einem Jahr würde er diesen Schlag dann gleichermaßen erwidern. Sir Gawain nimmt die Herausforderung an, nichtsahnend, dass der grüne Ritter nach seiner Enthauptung aufsteht und mit seinem Kopf unter dem Arm das Schloss verlässt. Ein Jahr später muss sich Gawain also seinem Schicksal stellen.
Hier hat Lowery bereits die erste Änderung vorgenommen, die allerdings klein ausfällt, denn bei Lowery handelt es sich um einen Weihnachtsabend und nicht um Silvester, an dem die Kerngeschichte ihren Lauf nimmt. Eine deutlichere und wesentlichere Änderung ist die Darstellung des grünen Ritters selbst, der nicht nur alleiniger Namensgeber der Filmadaption ist, sondern auch als Baumwesen dargestellt wird. Zwar ist der grüne Ritter in der Vorlage auch besonders groß und sicherlich auch übernatürlich, alleine schon deshalb, weil er seinen Kopf aufhebt und unterm Arm wegträgt, aber Lowery scheint noch mehr Fokus auf das Natürliche zu legen, dem gegenüber ein Ritter mit mehr oder weniger heldenhaften Tugenden und dem damit verbundenen Christentum steht.
Der Regisseur nutzt noch viele weitere Symbole in seinem Film, um auf das Natürliche hinzuweisen. Doch auch ein anderes zentrales Element von "Sir Gawain and the Green Knight" ist in seinem Film präsent, nämlich Ritterlichkeit (chivalry). Allerdings verlässt der Filmemacher hier den Pfad der werkstreuen Verfilmung, indem er die Ritterlichkeit bei Gawain schon direkt zu Beginn des Films eher dekonstruiert: So ist Gawain in The Green Knight noch gar kein Sir, außerdem treibt er sich in Bordellen rum, was mit dem Code of Chivalry gar nichts mehr gemein hat. Dies ermöglicht dem Regisseur allerdings, das weitere Geschehen als deutlichere Heldenreise zu präsentieren, als wenn Gawain bereits der perfekte, tugendhafte Ritter gewesen wäre, der er in der Vorlage ist. Außerdem führt diese Dekonstruktion dazu, dass Werte – seien es die des anfänglichen Gawains oder aber auch die ritterlichen – stärker hinterfragt werden. Auch kann man die Reise und das von der Vorlage abweichende Ende als Reise in die Düsternis eines miesen Charakters werten, so dass die Vorlage in diesem Fall zwar in ihrer Aussage her berücksichtigt wird, die Darstellung allerdings einiges umkehrt. Damit transportiert Lowery die Geschichte deutlicher in die heutige Zeit, denn auch Männlichkeit wird dadurch hinterfragt, während sich aber sicherlich niemand mehr im Publikum mit Ritterlichkeit auseinandersetzen möchte.
Lowery arbeitet allerdings mit so vielen Metaphern und Bildern, dass man noch wesentlich mehr aus seinem Film ziehen kann. So ist Gawains Reise teilweise eher wie ein Fiebertraum, stets düster und karg, mit einigen seltsamen Geschehnissen. Der Regisseur versteht es, das Geschehen atmosphärisch einzufangen und deutet immer wieder auf das scheinbar unvermeidliche, dem Tod. Ob er hier auch einen gewissen Existenzialismus ausdrücken möchte, ist nicht auszuschließen.
Dies ist aber auch ein wenig das Problem von The Green Knight: Der Film ist zu symbolschwanger. Man kann in viele Richtungen interpretieren, aber als Zuschauer kann man sich bei den vielen Metaphern leicht verlieren. Es kann Spaß machen, gleich mehrere Interpretationsmöglichkeiten angeboten zu bekommen, aber wenn man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, hilft auch nicht unbedingt weiter. Der Kern ist noch leicht nachvollziehbar, insbesondere, wenn man die Vorlage kennt, aber es gibt viele Elemente, die den Zuschauer überfordern könnten. Es ist immer noch ein Arthouse-Film, bei dem man nicht immer alles verstehen kann oder auch muss. Und auch wenn Lowery hauptsächlich seine Bilder sprechen lässt, so lässt er sich teilweise auch zu viel Zeit mit seiner Erzählung.
Wer aber bereit ist, sich eine experimentellere Herangehensweise mit wirklich beeindruckenden Bildern, denn technisch betrachtet hat The Green Knight einiges zu bieten, wird hier auf seine Kosten kommen.
Fazit
Bei The Green Knight sollte man vor Sichtung des Films schon wissen, worauf man sich einlässt. Der Film macht es dem Zuschauer definitiv nicht einfach, aber wer interessiert ist an einer Neuinterpretation des mittelalterlichen Stoffs und grundsätzlich Arthouse-Filme mag und hierzu die notwendige Geduld mitbringt, der wird in dem Film einiges entdecken können.
6,5/10
Zweitmeinung
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