Die Unschuld

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  • Einleitung


    Nachdem Regisseur Hirokazu Kore-eda in den letzten Jahren sich mit Leben und lügen lassen sowie Broker in Frankreich und in Südkorea filmisch probierte, kehrt der gerade für seine ruhigen und intimen Erzählungen bekannte Japaner mit Die Unschuld in sein Heimatland zurück. Und abermals rückt er nicht nur die emotionale Welt von Kindern als einen Hauptaspekt in den Fokus, sondern bleibt auch seinem unaufdringlichen Erzählstil treu.

    Im Zentrum des Werks steht der junge Minato, der sich mehr und mehr zurückzuziehen. Seine verwitwete Mutter Saori spürt schnell, dass etwas nicht stimmen kann. Mit Entsetzen erfährt Saori, dass Minatos Lehrer Schuld sein soll an seinem merkwürdigen Verhalten. Aufgebracht stürmt sie in die Schule, verlangt Antworten. Sie merkt, dass man sie hinhält, ihr nicht die ganze Wahrheit sagt. Doch sie lässt nicht locker und will der Sache auf den Grund gehen. Bis nach und nach offenbart wird, was wirklich geschah. Es verändert das Leben aller Beteiligten für immer…

    Als Darsteller sind in Die Unschuld unter anderem die beiden Jungschauspieler Sōya Kurokawa und Hinata Hiiragi zu sehen, sowie Sakura Ando, Eita Nagayama und Shidô Nakamura.

    © 2024 Wild Bunch Germany

    Kritik


    Die Unschuld erzählt eine Geschichte aus drei unterschiedlichen Perspektiven, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Regisseur Hirokazu Kore-eda führt einem so auf geschickte Weise vor, welche voreiligen Schlüsse oder gar fehlende Hintergrundinformationen zu einem Zwischenfall für schwerwiegende Folgen haben kann. Dabei lädt der Filmemacher durchaus zum Miträtseln ein, das Mysterium, was wirklich geschehen ist, zu lösen, doch konzentriert er sich viel mehr darauf, zu zeigen, wie manipulativ es sein kann, wenn Details ausgelassen werden oder man gar eine Notlüge vorschiebt, um vermeintlich den Schaden zu begrenzen. Und ja, man ertappt sich auch als Zuschauer schnell dabei, voreilig zu urteilen und Partei zu ergreifen. Dass an der Eskalation der Situation wirklich jede Partei eine Mitschuld trägt, ist am Ende schwer zu schlucken – ganz besonders, da man sich auch über sich selbst ärgert.
    Themen wie gesellschaftliche Höflichkeiten, die einen das Lehrerkomitee wahrlich hassen lassen, das Fehlen der Bereitschaft die Sicht von Kindern ernst zu nehmen und gar der Druck dazugehören zu wollen, sind treibende Kräfte in dieser beklemmenden Analyse eines Streitfalls, der am Ende im gleichen Zug so simpel und doch so kompliziert erscheint, wie das Leben und seine Hürden selbst.
    Zwar räumt Kore-eda zu manchen Augenblicken der Auflösung einiger Mysterien zu viel Raum ein, sodass es hin und wieder zu kleineren Durchhängern kommt, doch gelingt es dem Regisseur im Schlussakt noch einmal sein ganzes Können aufzufahren, mit einfachen Mitteln, intimen Augenblicken und unaufdringlichen und doch ausdrucksstarken Bildern eine emotionale Wucht aufzubauen, die noch lange nachhallt. Somit bleibt sich Kore-eda inszenatorisch treu, indem er auch hier wieder auf einen ruhigen Erzählstil und angenehm klein gehaltene Schicksale setzt, wenn auch diese für die beteiligten Individuen stets tiefgreifende Konsequenzen haben.

    Darstellerisch ist das Ensemble absolut makellos. Besonders hervorstechend sind jedoch die beiden Kinderstars Sōya Kurokawa und Hinata Hiiragi. Letzterer berührt als Yori durch seine durchweg liebenswürdige Art, die bei all den Erniedrigungen, die er erfährt, umso mehr Kraft bekommt, noch einmal außergewöhnlich. Aber auch Eita Nagayama, der Lehrer Hori verkörpert, der mit gravierenden Anschuldigungen konfrontiert wird, weiß gekonnt in den einzelnen Augenblicken Blicke und Gesten punktgenau zu setzen, dass seine Haltung ebenso klar wie undurchsichtig erscheint. So ertappt man sich nicht nur einmal dabei, ihn menschlich falsch einzuordnen. Und dennoch ergibt am Ende alles einen Sinn.

    Der angenehm unaufdringliche Score vom im vergangenen Jahr verstorbenen Oscargewinner Ryuichi Sakamoto (Der letzte Kaiser) fügt sich erstklassig in den intimen Erzählstil von Kore-eda ein, sodass das Werk noch eine zusätzliche Qualität erringt.
    Generell ist es Hirokazu Kore-eda nach seinen letzten beiden eher unauffälligen, wenn auch wahrlich nicht schlechten Werken Leben und lügen lassen und Broker wieder einmal gelungen ein kleines, feines aber gewichtiges Ausrufezeichen zu setzen. Hier fügt der künstlerische Leiter ungemein viele Qualitäten von seinem filmischen Team aus zahlreichen Bereichen zu einem bemerkenswerten Ganzen zusammen.

    © 2024 Wild Bunch Germany

    Fazit


    Auch wenn sich hin und wieder die beiden Elemente Mystery und Drama ein wenig im Weg stehen, gelingt es Hirokazu Kore-eda mit Die Unschuld ein beachtliches Werk auf die Beine zu stellen, das emotional auch nachdem der Abspann verblasst ist, noch lange nachhallt. Und dabei bleibt der Filmemacher erzählerisch gewohnt zurückhaltend und nuanciert, sodass er eine geschickte Studie über voreilige Schlüsse sowie deren formende Gründe präsentiert, bei der man sich nur zu häufig selbst ertappt.


    8/10

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    Infos
    Originaltitel:
    怪物 (Kaibutsu) / Monster (englischer Titel)
    Land:
    Japan
    Jahr:
    2023
    Studio/Verleih:
    Wild Bunch Germany
    Regie:
    Hirokazu Kore-eda
    Drehbuch:
    Yûji Sakamoto
    Kamera:
    Ryûto Kondô
    Musik:
    Ryuichi Sakamoto
    Genre:
    Drama
    Darsteller:
    Sōya Kurokawa, Hinata Hiiragi, Sakura Ando, Eita Nagayama, Shidô Nakamura
    Start (DE):
    21.03.2024
    Laufzeit:
    127 Minuten
    FSK:
    ab 12 Jahren
    Bilder
    • Die-Unschuld.jpeg

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